Gentechnik durch die Hintertür
Der Europäische Gerichtshof hat sich für ein strenges Gentechnikgesetz und für eine Stärkung des Vorsorgeprinzipes entschieden. Gentechnikbefürworter befürchten dadurch gravierende wirtschaftliche Nachteile und argumentieren damit, den Anschluss an die Forschung zu verlieren.
Neue gentechnische Verfahren
In den vergangenen zehn bis 15 Jahren sind neue molekularbiologische Verfahren entwickelt worden, die tiefere Eingriffe in das Erbgut erlauben, als das mit den bisherigen Methoden möglich war. Diese neuen Gentechnikverfahren werden unter dem Begriff „Genome Editing“ zusammengefasst und ermöglichen gezielte Veränderungen im Erbgut von Zielorganismen.
Um welche Techniken geht es?
Am häufigsten wird aktuell die Genschere CRISPR/Cas verwendet. Damit sollen Pflanzen entwickelt werden, die besser an neue klimatische Bedingungen angepasst sein sollen. Dabei geht es unter anderem um die Entwicklung neuer trockenheits- und salzresistenter Sorten. Aber zum Beispiel auch um den Champignon Pilz, der sich mit Hilfe von CRISPR/Cas an der Schnittstelle nicht mehr so schnell braun färben soll – auch wenn das für den Konsumenten nur ein natürlicher Hinweis auf das Alter des Pilzes ist. Die Möglichkeiten für den Einsatz von CRISPR sind vielfältig: Es hat die molekularbiologische Arbeit in den Laboren der Welt revolutioniert und ermöglicht das „gezielte Umschreiben des Erbgutes“ von sowohl tierischen als auch pflanzlichen Zellen in kürzester Zeit, beschreibt Katharina Kwall in der neuesten Auflage des Kritischen Agrarberichts.
Regelung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH)
Der EuGH hat mit seinem Urteil vom 25. Juli 2018 höchstrichterlich entschieden, dass alle Organismen, die durch Genome Editing verändert wurden, unter das bestehende, strenge Gentechnikgesetz fallen. Sowohl ungewollte Nebeneffekte, die bei der Verwendung von Genome Editing-Techniken auftreten können, als auch die Wirkungen der gewollten Veränderungen müssen nun eingehend untersucht werden. Mit seiner Auslegung stärkt der EuGH das im Europarecht verankerte Vorsorgeprinzip.
Wahlfreiheit möglich und Vorsorgeprinzip gestärkt
Dies hat aus Sicht des Konsumentenschutzes weitreichende Folgen: Neue Sorten von Getreide oder Reis aber auch von Äpfeln oder Trauben, die in Zukunft mithilfe dieser neuen Methoden entstehen, unterliegen somit den strengen Zulassungsbedingungen, die eine Risikobewertung, eine Kennzeichnung, die Rückverfolgbarkeit und eine Überwachung voraussetzen. Durch die klare Entscheidung für die Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen (GMO) hat der Konsument nach derzeit geltendem Recht auch in Zukunft die Möglichkeit, sich aktiv für oder gegen GMO zu entscheiden. Und in Europa sind Gentechnikbefürworter unter den Konsumenten bekanntlich rar gesät.
Aktuelle Situation des Gentechnischen Anbaus und Importes in der EU
2017 wurden laut transgen.de weltweit auf 190 Millionen Hektar gentechnisch veränderte (GV) Pflanzen angebaut, das sind 3,9% der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche oder 13,6% der weltweiten Ackerfläche. Das heißt im Umkehrschluss: 96% der landwirtschaftlichen Nutzfläche bzw. 86% der Ackerfläche sind gentechnikfrei. Über 91% des weltweiten Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen findet in den USA, Brasilien, Argentinien, Kanada und Indien statt. In Europa ist bis jetzt nur der GV-Mais „MON 810“ zum Anbau zugelassen und wird auf 0,12% der EU-Ackerfläche in Spanien und Portugal angebaut. Und der Anbau geht seit 2013 kontinuierlich zurück. Europa ist im Anbau also weitgehend gentechnikfrei. Nicht so bei den Lebensmittel- und Futtermittel-Importen: insgesamt 64 gentechnisch veränderte Pflanzen, darunter Mais, Sojabohne, Raps, Baumwolle, Nelke, Kartoffeln und Zuckerrüben werden in die EU importiert.
Agrarlobbies, die den großen Saatgut- und Pflanzenschutzmittelkonzernen nahe stehen, drängen auf Erleichterung
Doch kaum hat der EuGH die für Gentechnikbefürworter unerwartet strengen Regeln für den Einsatz der neuen Techniken erlassen, werden diese von der EU-Kommission selbst, namentlich dem scheidenden Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andrukaitis, auch schon wieder in Frage gestellt. Von Seiten der EU-Kommission wird daran gearbeitet, das Urteil des EuGH zugunsten von Gentechnikbefürwortern und Lebensmittelindustrie abzuändern und die heute als gentechnisch veränderte Organismen klassifizierten Neuzüchtungen ohne die dafür vorgesehene, kostenintensive Prüfung zuzulassen. Die EU-Kommission begründet diesen Schritt damit, nicht den Anschluss an Forschung und Züchtung verlieren zu wollen. Damit stellt sie das Vorsorgeprinzip hinten an und öffnet der Gentechnik Tor und Hintertür.
Forschung, Verbraucherschutz und Vorsorgeprinzip
Auch wenn die „alte“ Gentechnik in Europa bis heute zu keiner Revolution auf dem Acker geführt hat, werden uns mit der neuen Gentechnik vor allem Lösungen für die Probleme aufgrund des Klimawandels oder der Welternährung versprochen. Doch ob Fehlentwicklungen der Vergangenheit durch neue Techniken in der Züchtung auszubügeln sind, ist mehr als fragwürdig. Tatsache ist, dass Forscher und Züchter weiterhin mit den neuen Techniken frei forschen und züchten können – in Europa aber unter strengen Sicherheitsauflagen. Dies wird vom aktuellen EuGH-Urteil in keiner Weise eingeschränkt. Vielmehr bildet das Urteil die Grundlage dafür, einerseits verantwortungsvolle Wissenschaft zu stärken und andererseits wissensbasierte, gute Entscheidungen für Umwelt und Gesellschaft zu treffen. Beim Aufschrei der Gentechnikbefürworter dürfte es sich daher hauptsächlich um wirtschaftliche Eigeninteressen handeln.
Jutta Staffler setzt sich für die Entwicklung der Ökologischen Landwirtschaft ein und beschäftigt sich mit sozialen und landwirtschaftlichen Fragen zum Thema Ernährungssouveränität. Und wenn sie sich gerade nicht mit der Rettung der Welt oder einem Buch beschäftigt, streift sie gerne durch die Botanik, sammelt Kräuter und nascht Wildgemüse. |
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