Solidarität und gute Nachbarschaft in Zeiten der Krise
Denken wir an LKW-Staus von Bozen bis Brenner am Anfang der Corona Krise zurück. Oder an die gestrandeten Südtiroler Studierenden, die nicht wussten, ob sie in Innsbruck bleiben sollen oder doch noch irgendwie über die Grenze zu ihren Familien kommen. Inzwischen ist dies alles kein Thema mehr, auch wegen der erprobten Zusammenarbeit im historischen Tirol in Form der Euregio Tirol-Südtirol-Trentino. Aber das wohl größte Zeichen gelebter nachbarschaftlicher Solidarität ist die Betreuung Südtiroler Corona-Intensivpatienten in den Kliniken des Bundeslandes Tirol. Eine von den drei Landeshauptleuten eingerichtete Koordinierungsstelle für den Sanitätsbereich soll die Zusammenarbeit zwischen den Euregio-Ländern noch verbessern.
Ein engeres Zusammenrücken gibt es aber auch an der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien. Erst am 30. Jänner dieses Jahres wurde der erste Europäische Verbund für territoriale Zusammenarbeit zwischen Österreich und Slowenien mit Sitz in Österreich gegründet. Dieser Verbund ist ein Zusammenschluss von 14 Gemeinden, wovon 9 in dem deutsch-slowenischsprachigen Minderheitengebiet in Kärnten und 5 Grenzgemeinden in Slowenien liegen. Ziel ist es, den Geopark Karawanken auf einer Fläche von 1.067 Quadratkilometern mit 53.000 Menschen touristisch gemeinsam zu vermarkten, die grenzüberschreitende Regionalentwicklung zu fördern und das einzigartige geologische Erbe dieses Berggebiets zu schützen. Aber die enge Kooperation zwischen den österreichisch-slowenischen Gemeinden wurde in Zeiten von Corona gleich auf einem ganz anderen Gebiet auf die Probe gestellt.
Anfang April schloss die österreichische Bundesregierung Grenzübergänge zu Slowenien und Italien ganz oder schränkte die Verkehrszeiten massiv ein. Unter anderem war die Schließung des Grenzübergangs Grablach/Holmec geplant, der nicht nur die Überlebensader des Geoparks Karawanken, sondern auch der kürzeste Weg für viele slowenische Tagespendler zum zweitgrößten Arbeitgeber Kärntens ist. Erst der massive Protest der Bürgermeister aus dem Geopark, eine Intervention beim slowenischen Ministerpräsidenten Janez Janša und eine entsprechenden Note Ljubljanas an die österreichische Bundesregierung in Wien ermöglichte das Offenbleiben der Grenze.
Die Euregio und der Geopark sind zwei institutionelle Beispiele funktionierender grenzüberschreitender Kooperation in Zeiten der Krise. Aber auch einen aktiven solidarischen Beitrag eines jeden einzelnen werden vor allem die wirtschaftlichen Folgen des Corona Virus künftig notwendig machen. Eine vielversprechende Möglichkeit bietet dabei das Genossenschaftswesen. Mit Genossenschaften als Mittel zur Selbsthilfe schafft man Arbeitsplätze, kurbelt die lokalen Kreisläufe an und stärkt den ländlichen Raum. Die jetzt so gefragten Grundwerte wie Selbsthilfe, Eigenverantwortung, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Solidarität finden wir in den historisch bekannten – genossenschaftlich organisierten Bereichen – wie Landwirtschaft, Banken, Wohnen und Lebensmittelhandel. In den Post-Coronazeiten werden aber auch Genossenschaften im Kreativ- und Sozialbereich gefragt sein. Gerade Minderheitengebiete sind für die unternehmerische Selbstorganisation in Form von Genossenschaften sehr gut geeignet. Denn sie stärken nicht nur die lokale Wirtschaft, sondern auch die Identität der Menschen und machen eine Region wieder authentisch. Themen, die auch im Tourismus und dessen Neuausrichtung immer wichtiger werden.
Dieser Beitrag erschien zuerst in leicht veränderter Form in der Tageszeitung “Dolomiten”.
Günther Rautz ist Leiter des Instituts für Minderheitenrecht bei Eurac Research. Der Rechtswissenschaftler und Experte für Minderheitenrecht leitete das Interreg Projekt ID-Coop zu Genossenschaften in Minderheitengebieten (www.id-coop.eu). |
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