Wir müssen endlich resilienter werden! Ein Plädoyer, in der momentanen Zeit des Stillstands umzudenken
Es ist überraschend, was man in diesen Tagen nicht lesen kann. In den vielen Artikeln, die bis jetzt über die Folgen von Coronavirus zu lesen sind, wird ein Wort nicht erwähnt: Resilienz. Ist das nicht ein Irrtum?
Resilienz, wo bist du geblieben?
Bis vor ein paar Jahren und vor allem im Zuge der Finanzkrise 2008 bestimmte das Thema „Resilienz“ den wissenschaftlichen Diskurs, besonders in den Regionalwissenschaften. Man kann fast sagen, es war ein wissenschaftliches Modewort. Es ging darum, zu analysieren, warum bestimmte Regionen mit der Wirtschaftskrise besser zurechtkamen als andere. Es ging auch darum, herauszufinden, wie Regionen weniger krisenanfällig werden können. Auch wenn „Resilienz“, „resilient sein“ von Vielen, auch von Wissenschaftlern, als sperrig empfunden werden, – das dahinterstehende Konzept trifft genau den Nerv dieses Augenblicks. Denn bei Resilienz geht es um drei Aspekte:
- die kurzfristige Anpassungsfähigkeit gegenüber Katastrophen und Krisen, also die rasche Wiederherstellung der ökonomischen und sozialen Systeme,
- die Krisenresistenz oder Widerstandsfähigkeit, also wie bestehende Strukturen die Wirkung abprallen lassen und
- die Lernfähigkeit des Systems, sich neu zu konstituieren (nach Hahne 2013[1]).
Unser labiles System ist zu krisenanfällig
Denn, wenn uns allen die Coronakrise etwas zeigt, dann das: Unsere Lebenswelt und unser Wirtschaftssystem sind auf Krisen nur bedingt, teilweise gar nicht, vorbereitet und reaktionsfähig. Unser System ist vulnerabel, verletzbar, krisenanfällig, kurzfristig häufig nicht anpassungsfähig und deshalb eben zu wenig resilient.
Ein paar Wochen reichen, um eine schon vor Corona labile Wirtschaft in existentielle Krisen zu stürzen. Für diese Labilität sind verschiedene Punkte verantwortlich, die alle ineinandergreifen, wie unter anderem hohe Verschuldungsraten* und niedrige Liquiditätsraten vieler Sektoren, keine oder nur geringe Rücklagen, geleaste Alltagsgegenstände als Normalzustand, auf ständiges Wachstum und ein Es-geht-immer-so-weiter ausgerichtete Investitionen, hohe Abhängigkeit von überregionalen und internationalen Liefer- und Versorgungsketten, Externalitäten in fast allen Bereichen etc. Fehlt uns Risikokompetenz?
Corona und Wirtschaft – Parallelen
Ist der Virus nicht eine Metapher für ein schwer krankes, überholtes und wenig widerstandsfähiges System in Zeiten des Anthropozäns, das es ja auch verursacht hat? Für ein Zeitalter, für das uns scheinbar nicht nur die Sprache fehlt, sondern in Anbetracht der vielen Herausforderungen – Klimawandel, Migrationsströme, soziale Ungleichheit, Artenverlust – auch wirksame Antworten? Müsste unser Wirtschaftssystem nicht schon längst generalüberholt werden durch wesentlich resilientere und nachhaltigere Systeme? Durch „demütigere“ Strukturen, wie die einer Postwachstumsgesellschaft, die unter anderem auf suffiziente, lokale/regionale Kreisläufe, Agrarökologie, soziale Innovationen setzt -, alles Forschungsthemen, die an Eurac Research seit Jahren erforscht werden. Weltweit wurden unzählige vielversprechende Ansätze entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Es geht also im Sinne der Resilienz um unsere Lernfähigkeit.
Werden wir jetzt aus der Krise lernen?
Wird das passieren? Ich habe trotz der allgegenwärtigen Diskussionen über Umdenken und Neubesinnung meine großen Zweifel. Auch weil die Entscheidungsträger, wenn, dann jetzt, genau jetzt, in dieser Stillstandphase der Krise resiliente und nachhaltige Maßnahmen auf den Weg bringen sollten. Danach wird die kapitalistische, auf Effizienz und Ökonomisierung getrimmte Maschine wieder angeworfen werden, die auch vor Leistungen der Grunddaseinsvorsorge (Gesundheitssystem) nicht Halt macht. Wir werden wahrscheinlich wieder abheben wie vorher. Voraussichtlich noch mehr als vorher. Denn es gilt ja die Wirtschaftseinbußen gut zu machen. Die C02 Einsparungen werden sicher wett gemacht. Geld für klimaschutzrelevante Vorhaben werden wohl kaum übrig sein. In welchen Bereichen können auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, welche qualitativen Veränderungen auf den Weg gebracht werden? Denn massive Anstrengungen sind auch in Anbetracht der dramatischen Folgen des Klimawandels, von Millionen Flüchtlingen, der Kluft zwischen Reich und Arm und dem unfassbaren Artenverlust jetzt dringend geraten. Kann die jetzige Krise Hilfestellung leisten, damit wir für andere Krisen unsere Lehren ziehen, risikokompetenter werden? Um sicherzustellen, dass Alltag und Wirtschaft in Zukunft anders, resilienter, sozialer und umweltfreundlicher sein wird? Jetzt ist die Zeit, die richtigen Fragen zu stellen und aus bereits vorhandenen Erkenntnissen kluge Schlüsse zu ziehen.
* Im Südtiroler Beherbergungs- und Gastgewerbesektor liegt 2018 der Verschuldungsgrad laut den Bilanzkennzahlen der Wifo bei 210% bzw. 238% (https://www.wifo.bz.it/de/themen/bilanzindikatoren-fit-for-rating.html).
[1] Hahne, U. (2013): Regionale Resilienz – Eine neue Anforderung an die ländliche Entwicklung und die künftige Regionalpolitik der EU. Der kritische Agrarbericht 2013, S. 155-160.
Thomas Streifeneder ist Wirtschaftsgeograph und leitet das Eurac-Institut für Regionalentwicklung. Ihn beeindrucken engagierte Menschen im ländlichen Raum, Querdenker, die etwas wagen. Mit seinen Posts will er auf innovative soziale und ökologische Initiativen hinweisen und damit andere zum Umdenken inspirieren. |
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