Stereotype oder Wahrheit? Mediale Narrative über Migration im Südtiroler Landtagswahlkampf 2023
Wie prägen Medien die Wahrnehmung von Migration in Wahlkampfzeiten? Dieser Blog taucht in die Welt der Berichterstattung der Südtiroler Medien während des Landtagswahlkampfs 2023 ein und zeigt auf, wie stark die Themen Kriminalität und Sicherheit im Vorfeld der Landtagswahlen 2023 ins Zentrum gerückt wurden.
Der Südtiroler Landtagsabgeordnete Sven Knoll steht im Anzug vor einem Supermarkt in Bozen und spricht inmitten des Einkaufstrubels laut in die Kamera. Begriffe wie Diebstahl, Schlägerei, „Ausländerkriminalität“ und „Abschiebung illegaler Marokkaner“ fallen in einem Satz. Angespannte Musik spielt im Hintergrund. Dieses Video hat über 35.000 Aufrufe (Stand 15. August 2024 - Quelle: Südtiroler Freiheit, TikTok, 07.03.24). Medien spielen im Südtiroler Wahlkampf eine entscheidende Rolle. Menschen können sich schnell Zugang zu Nachrichten verschaffen. Medienformate reichen von traditionellen Printmedien über Fernsehen bis hin zu Online-Plattformen wie TikTok, Twitter und Instagram. Sie vermitteln zwischen politischen Akteuren und der Bevölkerung und sind für die Qualität der Demokratie entscheidend. Soziale Medien werden populärer, doch laut ASTAT liest die Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung täglich die Tageszeitung. Vor allem ältere Bürgerinnen und Bürger sowie Menschen mit höheren Bildungsabschlüsseng greifen auf Printmedien zurück. Jüngere bevorzugen hingegen Online-Zeitungen. Das Vertrauen in Tageszeitungen ist dadurch nach wie vor sehr hoch. Dieser Blog konzentriert sich daher auf ausgewählte Südtiroler Medien (Dolomiten, Alto Adige, Salto.bz), um zu analysieren, wie das Wahlkampfthema Migration im Zuge der Südtiroler Landtagswahlen am 22. Oktober 2023 medial dargestellt wurde.
Migration in Italien: Lokale Reaktionen und nationale Debatten
„8800 Migranten in 3 Tagen“: So lautet eine Schlagzeile der "Dolomiten" am 14. September 2023. Begleitet wird dieser Titel von einem dramatischen Bild, das das Chaos auf der Insel Lampedusa untermalen soll. Eine Menge Geflüchteter steht aufgereiht in der Sonne, das Ende der Reihe liegt außerhalb des Sichtfeldes. 2023 kamen 157.000 Flüchtlinge sowie Migrantinnen und Migranten an der Küste Italiens an, was das Aufnahmelager auf Lampedusa erheblich belastete. Daher wurde das Thema Ankünfte auch in den lokalen Medien aufgegriffen. Die häufig erschreckenden Bilder beeinflussten stark die öffentliche Wahrnehmung der Ankünfte.
So wird beispielsweise von der Zeitschrift "Alto Adige", im Hinblick auf Lampedusa, mit den Worten „tragisch, dramatisch, apokalyptisch“ eine Situation beschrieben, die beinahe dystopisch wirkt. Im medialen Diskurs werden hier immer wieder die Stimmen der rechten Partei "Lega" laut, die vor allem die Verteilung der Migranten und Migrantinnen in der Europäischen Union kritisiert. Auch Michaela Biancofiore, Vorsitzende der „Civici d’Italia - Noi Moderati“, äußert sich dazu mit folgenden Worten: „Sehr gut, was Premierministerin Meloni tut, um die Landungen illegaler Einwanderer zu stoppen und Italien nicht zum Flüchtlingslager der EU werden zu lassen.“ Die rechten Parteien widersetzeb sich dabei den Forderungen der Linken und des Partito Democratico (PD), die eine allgemeine Aufnahme von Migranten und Migrantinnen unterstützen.
Kriminalität als mediales Konstrukt
Migration und insbesondere Personen mit Migrationshintergrund werden auch mit dem Fokus auf Südtirol thematisiert. Die am häufigsten verwendete Stichworte, die im Zusammenhang mit Migrantinnen und Migranten im Zeitraum vor den Landtagswahlen 2023 in den Medien aufgegriffen wurden, waren dabei „Kriminalität“ und „Sicherheit“. In der medialen Berichterstattung werden Personen mit Migrationshintergrund häufig in Verbindung mit Straftaten genannt. Migration wird also primär in einem negativen Licht dargestellt, während positive Aspekte oder Geschichten selten oder gar nicht vorkommen. Das Thema Kriminalität von Personen mit Migrationshintergrund kam dabei besonders im Zusammenhang mit rechten Parteien und deren Statements vor. So spricht beispielsweise Myriam Atz-Tammerle von der Südtiroler Freiheit in der Dolomiten spezifisch davon, dass laut den „vorliegenden Daten der Polizei“ ganz klar die „meisten Kriminaldelikte im öffentlichen Raum auf Ausländer zurückgehen“. Diese Darstellung spiegelt stark den allgemeinen Diskurs wider, der auch auf staatlicher Ebene von den politischen Parteien geführt wird und eine allgemeine Krisenstimmung suggeriert.
Auch in der "Alto Adige" wird berichtet, dass in den Gefängnissen in Bozen rund 64,2% der Inhaftierten ausländischer Herkunft sind. Dies verstärkt erneut das Vorurteil, dass Migrantinnen und Migranten häufig in kriminelle und illegale Aktivitäten verwickelt seien. Die politische Kampagne der Südtiroler Freiheit mit dem Slogan „Weg mit den kriminellen Ausländern“ und einem Wahlplakat, das eine verängstigte Frau und einen aus Afrika stammenden Mann mit einem Messer zeigt, wurde in den Medien aufgegriffen. Dabei wurde auch die Wahrnehmung und Kritik von verschiedenen Parteien thematisiert, die diese Wahlwerbung als fremdenfeindlich und hasserregend kritisierten.
Wie die Meldung über ein CPR in Bozen hohe Wellen schlug
Die Ankündigung, dass in Bozen ein Rückführungszentrum (CPR - Centro di permanenza per i rimpatri) für Migranten und Migrantinnen entstehen soll, hat in den Südtiroler Medien und politischen Parteien intensive Diskussionen ausgelöst. Seit September 2023 gehört dieses Thema zu den meistdiskutierten in den analysierten Medien und hat eine breite Resonanz in den politischen Lagern gefunden. Das Thema des CPR spiegelt sich dabei in der Überbetonung von Kriminalität und Un(sicherheit) im medialen Diskurs wider. So wird beispielsweise in der "Alto Adige" (Ausgabe vom 22. September 2023) Christian Bianchi von der Lega mit den Worten „Ein Rückführungszentrum in Bozen? Gut. Der richtige Ort“ zitiert, was die positive Haltung der Lega zu diesem Vorhaben unterstreicht. Zudem findet der Fraktionssprecher der Lega, Selle, ein CPR in Bozen gut, da er „keine illegalen Einwanderer und Kriminellen mehr auf den Straßen“ haben will und außerdem meint, „übermäßiger Gutmenschentum und Wohlfahrt haben Bozen in das Lampedusa des Nordens verwandelt.“ Im Gegensatz dazu wird das CPR von Seiten des PD, der Grünen und auch von deutschen rechten Parteien wie der Südtiroler Freiheit weniger positiv aufgenommen. Sven Knoll von der Südtiroler Freiheit äußerte sich in der "Dolomiten" kritisch: „Wir brauchen kein Migranten-Zentrum. Die straffällig gewordenen Ausländer müssen sofort abgeschoben werden! Außerdem sollte man einen Migrationsstopp für Südtirol einführen.“ Diese unterschiedlichen Positionen verdeutlichen die kontroverse Natur des geplanten Rückführungszentrums und zeigen, wie stark dieses Thema die politischen und gesellschaftlichen Debatten in der letzten Phase des Wahlkampfs in Südtirol prägte. Der starke Fokus auf das CPR Thema in den Medien führte dazu, dass andere lokale Probleme kurz vor der Wahl kaum Beachtung fanden und die öffentliche Diskussion dadurch stark polarisiert wurde.
Medienmacht im Wahlkampf: Polarisierung oder ausgewogene Debatte?
Medien spielen eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der öffentlichen Meinung während eines Wahlkampfs, insbesondere in Bezug auf Themen wie Migration. Durch die Auswahl und Präsentation des Themas und den Kontext, in dem diese dargestellt werden, beeinflussen sie, wie die Öffentlichkeit die Bedeutung und Dringlichkeit von Migrationsfragen wahrnimmt. Durch die Art der Positionierung von Themen können bestehende Vorurteile verstärkt oder eine differenzierte Debatte gefördert werden. Besonders in polarisierenden Wahlkämpfen tragen Medien dazu bei, Narrative zu formen, die Wahlentscheidungen stark beeinflussen können. Für Südtirol hat sich gezeigt, dass Migration und Personen mit Migrationshintergrund in erster Linie mit negativer Berichterstattung repräsentiert werden. Mit der zunehmenden Bedeutung der sozialen Medien, in denen Quellen teilweise nicht klar nachvollziehbar sind, ist eine ausgewogene und nachvollziehbare Berichterstattung daher zunehmend wichtiger, um eine informierte Öffentlichkeit zu gewährleisten. Insgesamt wird die Zukunft der Medien von einem Spannungsfeld geprägt sein, in dem diese entweder zur Polarisierung der Gesellschaft beitragen oder eine Stütze für eine differenzierte öffentliche Debatte sein können.
Für eine detaillierter Analyse aller diskutierten Themen verweisen wir auf den Artikel: Der Landtagswahlkampf 2023 im Spiegel der Medien Eine vergleichende Analyse von Dolomiten, Alto Adige und Salto.bz. von Melanie Gross & Sophia Schönthaler, der in der Politika 2024 erschienen ist.
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