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Gender

Definitionen und Daten für ein besseres Verständnis gesellschaftlicher Veränderungsprozesse

Oscar Diodoro
Credit: Eurac Research | Oscar Diodoro

Hier gibt es das Dossier Gender zum Download als PDF.
Die Inhalte dieses Dossiers stammen aus dem „Genderreport – Südtirol 2024“, herausgegeben von Alexandra Tomaselli, Katharina Crepaz und Mirjam Gruber, und mit Beiträgen von 40 Autor*innen, zum Großteil von Eurac Research.

Gibt es einen Unterschied zwischen den Begriffen Geschlecht und Gender?

Das so genannte „biologische“ Geschlecht, männlich oder weiblich, wird gleich nach der Geburt im Wesentlichen aufgrund der äußeren Geschlechtsorgane bestimmt. Es wird auch als „bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht“ bezeichnet. Gender, das soziale Geschlecht, hingegen ist das, womit sich eine Person identifiziert: weiblich, männlich, nicht-binär oder genderfluid. Queer ist ein Begriff, um die Geschlechtervielfalt zu erfassen. Die britische Soziologin Ann Oackley war eine der ersten, die diesen Unterschied in den 1970er Jahren beschrieben hat. Wenn eine Person das Gefühl hat, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht und die Geschlechtsidentität übereinstimmen, wird sie als cisgender bezeichnet – zum Beispiel männliches biologisches Geschlecht mit männlicher Geschlechtsidentität. Wenn sie nicht übereinstimmen, spricht man von einer transgender bzw. trans* oder nicht-binären Person – zum Beispiel eine trans* Frau, der bei der Geburt ein männliches Geschlecht zugewiesen wurde, die aber eine weibliche Geschlechtsidentität hat. Das Unbehagen, das durch die Unstimmigkeit zwischen dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht und der Geschlechtsidentität entsteht, wird Geschlechtsdysphorie genannt. Die Geschlechtsangleichung oder Transition hingegen ist der Prozess, dem sich trans* Personen unterziehen, um ihr zugewiesenes Geschlecht entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu verändern und ihre Geschlechtsidentität öffentlich anerkennen zu lassen. Derzeit sind nach italienischem Recht weder eine Operation an den äußeren Genitalien noch eine Hormontherapie erforderlich, um den eingetragenen Namen und die Identität zu ändern. Achtung: Das biologische Geschlecht wird nicht nur durch die äußeren Genitalien bestimmt, es gibt viele weitere körperliche Geschlechtsmerkmale wie Hormone, Chromosomen und andere sekundäre anatomische Merkmale (zum Beispiel Adamsapfel, Brustgröße usw.). Etwa einer von 60 Menschen weist Unterschiede bei diesen Merkmalen auf: Die Medizin verwendet dafür den Begriff „intersexuell“. Die sexuelle Orientierung ist ein anderes Thema. Es gibt Menschen, die heterosexuell, homosexuell, bisexuell, asexuell oder aromantisch sind. So kann zum Beispiel eine trans* Frau heterosexuell sein, wenn sie sich zu Männern hingezogen fühlt, oder lesbisch, wenn sie sich zu anderen Frauen hingezogen fühlt.

Wenn die Geschlechtsidentität und das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht übereinstimmen, wird die Person als cisgender bezeichnet; wenn sie nicht übereinstimmen, spricht man von einer transgender bzw. trans* oder nicht-binären Person.

Was sind Gender Studies?

Die Geschlechterforschung, auch unter der englischen Bezeichnung Gender Studies bekannt, ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden. Diese interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin untersucht alle Themen und Aspekte, in denen die Kategorie Geschlecht gesellschaftlich relevant wird. Die Gender Studies gehen von der Erkenntnis aus, dass es nicht angemessen ist, Menschen nur aufgrund ihres biologischen Geschlechts bestimmte Eigenschaften und Neigungen zuzuschreiben; vielmehr ist es die Sozialisation in häufig stereotype Rollenvorstellungen, die zu Unterschieden führt. Ungleichheiten könnten daher durch die Stärkung anderer Modelle überwunden werden. Zum Beispiel könnte es für Männer viel gängiger werden, Sorgearbeit zu leisten, sowohl beruflich als Erzieher in Kindergärten oder als Altenpfleger, als auch in der Familie.

Die Geschlechterforschung sammelt Daten und erforscht alternative Formen des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit zwischen den Geschlechtern, damit sich die Menschen auf individueller Ebene wohl fühlen können und die Gesellschaft als Ganzes die Diskriminierung überwindet und die Gleichberechtigung aller Menschen anerkennt.

Gender Studies und Aktivismus sind zwei unterschiedliche Bereiche, die sich jedoch gegenseitig beeinflussen können.

Bis 1993 mussten Frauen in klinische Studien nicht einbezogen werden. Der Körper des cisgender Mannes war das einzige Referenzmodell.

Will die Gender-Ideologie die Geschlechter abschaffen?

Nein. Zunächst muss klargestellt werden, dass „Gender-Ideologie“ eine Bezeichnung ist, die von Personen verwendet wird, die die Geschlechterforschung infrage stellen. Sie impliziert, dass es einen Plan gibt, um traditionelle Gesellschafts- und Familienvorstellungen zu zerstören. Der Ausdruck stammt ursprünglich aus rechtsradikalen Kreisen und ist heute auch darüber hinaus verbreitet. Es gibt allerdings keine Gender-Ideologie, denn die Gender Studies sind keine Weltanschauung, sondern eine wissenschaftliche Disziplin. Zudem leugnet die Geschlechterforschung das „biologische Geschlecht keineswegs, sondern hält es ganz im Gegenteil für unerlässlich, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern – sowohl im sozialen als auch im biologischen Sinne – besser zu untersuchen und mehr Daten dazu zu sammeln.“

Bisher war der Körper des cisgender Mannes das einzige Referenzmodell, was viele Probleme verursachte und immer noch verursacht. So müssen beispielsweise erst seit 1993 Frauen in klinische Studien einbezogen werden. Bis dahin schloss man Frauen häufig mit der Begründung aus, dass die Menstruation die Ergebnisse verzerren würde. Heute weiß man hingegen, dass Medikamente gerade wegen des Menstruationszyklus bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken und es daher wichtig ist, genau diese Unterschiede zu untersuchen, um ihre Wirkung zu verbessern. Das Gleiche gilt auch für Sicherheitstests bei Fahrzeugen, die früher nur auf der Grundlage männlicher Körper durchgeführt wurden: Da Männer im Allgemeinen aber andere Körpermaße haben und auch ihre Organe anders angeordnet sind, ist eine Sicherheitsvorrichtung, die für einen männlichen Körper konzipiert wurde, bei einem Unfall für eine Frau potenziell weniger sicher.

Was versteht man unter Intersektionalität?

Im Allgemeinen neigen Schwierigkeiten und Diskriminierungen nicht nur dazu sich zu summieren, sondern auch sich gegenseitig zu beeinflussen und in bestimmten Dynamiken, den so genannten „Intersektionen“, zu verstricken, die sehr schwer zu durchbrechen sind. So sind beispielsweise trans* Personen in ihrem Alltag mit einem starken Stigma konfrontiert; wenn sie einen Migrationshintergrund haben, kommt noch hinzu, dass sie oft automatisch als Sexarbeiter*innen (also als Menschen, die sich prostituieren) identifiziert werden, auch wenn das nicht der Fall ist, was ihr Leben zusätzlich schwieriger macht. Ein anderes, häufiges Beispiel: Ältere, alleinstehende Frauen sind stärker von Armut bedroht als gleichaltrige Männer in derselben Situation, weil ihre Renten im Allgemeinen niedriger sind. Frauen sammeln meist weniger Rentenbeiträge aus Erwerbsarbeit an, weil sie sich häufig der familiären Sorgearbeit gewidmet haben.

Ein intersektionaler Ansatz berücksichtigt alle Faktoren, die zu Diskriminierung führen, untersucht, wie sie sich gegenseitig beeinflussen, und bietet Lösungsvorschläge an. Die häufigsten Faktoren sind Geschlecht, wirtschaftlicher Status, ethnische Zugehörigkeit oder Herkunft und was damit zusammenhängt (zum Beispiel Rassismus), sexuelle Orientierung, Behinderung, Religion, Alter.

Der intersektionale Feminismus ist eine Bewegung, die sich nicht nur auf die Rechte von Frauen und anderen geschlechtsspezifischen Minderheiten konzentriert, sondern sich auch für andere Kämpfe öffnet, etwa für den Umweltschutz, gegen Diskriminierung aufgrund von Behinderung usw.

Die Metapher hinter dem Konzept der Intersektionalität


Das Konzept der Intersektionalität wurde von der Juristin Kimberlé Crenshaw entwickelt, die zur Veranschaulichung das Bild einer Straßenkreuzung verwendete. So wie der Verkehr an einer Kreuzung aus vier verschiedenen Richtungen kommen kann, so kann auch die Diskriminierung verschiedene Ursachen haben. Und wie ein Verkehrsunfall an einer Kreuzung sowohl durch ein einzelnes Auto verursacht werden kann, aber auch durch mehrere Fahrzeuge, die aus verschiedenen Richtungen kommen, so kann eine Schwarze Frau an dieser metaphorischen „Kreuzung“ sowohl von sexistischer als auch von rassistischer Diskriminierung oder von beidem gleichzeitig getroffen werden.

Viele Menschen in den wohlhabenden westlichen Gesellschaften sind der Meinung, dass die Geschlechter mittlerweile im Großen und Ganzen gleichberechtigt sind. Aber ist dem so?

Das Problem liegt eben im „Großen und Ganzen“. Es mag vielleicht repetitiv klingen, aber das Beispiel der Arbeitswelt zeigt es sehr deutlich. Derzeit sind Island und Norwegen die einzigen Staaten der Welt, in denen der Gender Employment Gap (das geschlechtsspezifische Beschäftigungsgefälle) als annähernd überwunden gilt – das heißt, dass nur in diesen beiden Staaten Frauen und Männer die nahezu gleiche Erwerbsbeteiligung haben. In allen anderen Ländern konzentriert sich die Beschäftigung der Frauen auf bestimmte Berufe (in der Regel im Erziehungs- oder Pflegebereich), sie verdienen weniger für dieselben Aufgaben oder haben kaum die Möglichkeit Spitzenpositionen zu erreichen. Auch in Südtirol, einer Provinz, in der die Situation zwar etwas besser ist als anderswo, ist das Problem spürbar: Laut ASTAT-Daten besuchten im Schuljahr 2021/22 rund 75 Prozent der Mädchen eine weiter-führende Schule, bei den Jungen waren es 63 Prozent. Auch die Universitätseinschreibungen und die Studienabschlussquoten sind bei Frauen deutlich höher. In der Arbeitswelt allerdings finden diese Verhältnisse keinen Niederschlag. Drei Beispiele.

Selbst im geschützten Kontext der Landesverwaltung, in dem es klare und strenge Antidiskriminierungsmaßnahmen gibt, waren zum 31. Dezember 2022 nur etwa 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt.

In Südtirol, wo die Landwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, sind Frauen erst seit etwas mehr als zwanzig Jahren in der Erbfolge des „geschlossenen Hofs“ (ein unteilbarer landwirtschaftlicher Betrieb) mit Männern gleichgestellt. Und nach wie vor überwiegt die männliche Betriebsleitung: 2016 wurden nur 13,5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe von Frauen geführt, im Vergleich zu 30,7 Prozent auf nationaler und 27,9 Prozent auf europäischer Ebene.

Auch in den führenden Forschungseinrichtungen Südtirols nimmt der Frauenanteil mit zunehmender Höhe in den Führungsetagen ab. Bei Eurac Research stehen 14 Männer und drei Frauen an der Spitze der elf Institute und sechs Center; an der Universität Bozen sind 31 Prozent der Professuren mit Frauen besetzt; im Versuchszentrum Laimburg ist das Personal etwa 50:50 zwischen Männern und Frauen aufgeteilt, wobei der Anteil der Frauen, die Arbeitsgruppen leiten, nur bei 34,1 Prozent liegt.

Bedeutet das, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt immer diskriminiert werden? Oder sind sie weniger entschlossen? Treffen sie andere Lebensentscheidungen? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Aber es lassen sich mehrere Erklärungen finden. Zentral ist die Tatsache, dass Frauen – ohne Anerkennung und nicht immer freiwillig – den größten Teil der Sorgearbeit in der Familie übernehmen: Kinder, Altenpflege, Organisation der Aktivitäten, der Ferien usw. Einerseits haben Unternehmen Bedenken, Frauen einzustellen oder ihnen höhere – und daher besser bezahlte – Positionen anzubieten, weil sie befürchten, dass sie häufiger abwesend sein werden. Andererseits sind es oft nur die Frauen, die Elternzeit oder Teilzeitarbeit beantragen oder sich dazu gezwungen sehen, um sich um ihre Familie zu kümmern, wodurch sie sich zunehmend von der Arbeitswelt distanzieren und auch ihre eigenen beruflichen und wirtschaftlichen Aussichten verschlechtern. Siebzig Prozent der jährlich 300 bis 400 Anfragen an den Südtiroler Anti-Mobbing-Dienst stammen von Frauen, die sich bei der Rückkehr in den Beruf nach der Mutterschaftskarenz, oder nach dem 45. Lebensjahr, wenn sie sich freistellen lassen wollen oder müssen, um ältere Familienangehörige zu pflegen, benachteiligt fühlen.

Der Teufelskreis zwischen Arbeit und Familie scheint ohne Lösung zu sein...

Lösungsansätze sind schwierig zu finden, da es sich um ein sehr verwurzeltes System handelt; tiefgreifende, strukturelle Veränderungen sind daher erforderlich. Seit 2019 hat in Italien die absolute Zahl der Väter, die Elternzeit nehmen, zugenommen, aber die durchschnittliche Dauer der Karenz ist viel kürzer: 23 Tage im Vergleich zu 78 Tagen für Mütter. In der Autonomen Provinz Bozen beantragen Frauen 95,6 Prozent der Elternzeittage. Laut ASTAT-Daten gehen in Südtirol nur zwei von zehn Vätern in Karenz, während es bei den Müttern sechs von zehn sind und viele von ihnen Teilzeitarbeit beantragen. Oft ist die Entscheidung dadurch begründet, dass es für heterosexuelle Paare vorteilhafter ist, wenn der Mann seinen Vollzeitjob behält, weil er besser bezahlt wird. Auch die soziale Stigmatisierung und die mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz eines Mannes als Sorgender oder als Hauptverantwortlicher für die Familienarbeit, spielen eine Rolle. Für die Pflege älterer oder kranker Menschen gibt es weniger offizielle Daten; die Organisation der Familie ist noch informeller und die unbezahlte Arbeit weniger sichtbar, aber man kann davon ausgehen, dass die Verhältnisse ähnlich sind. Könnte man es anders machen? Unbedingt notwendig ist sicherlich ein flächendeckendes und effizientes Dienstleistungsnetz. In anderen Ländern hat es sich auch bewährt Mindestzeiten für die Elternzeit der Väter festzulegen. Dadurch wird sichergestellt, dass Männer trotz des gesellschaftlichen Drucks Sorgeaufgaben übernehmen können und die Unternehmen ihre Einstellungsund Beförderungspolitik überdenken müssen. In Schweden beispielsweise beträgt die Elternzeit seit dem Jahr 1974 insgesamt 480 Tage (16 Monate): Jeder Elternteil kann 90 Tage für sich selbst in Anspruch nehmen, während die restlichen 300 Tage flexibel aufgeteilt werden können. Heute nehmen 76 Prozent der Väter Elternzeit in Anspruch, die meisten zwischen sechs und neun Monate. Eine weitere Möglichkeit aufzuzeigen, dass ein anderes System möglich und in der Praxis umsetzbar wäre, ist es, bei der Bildung anzusetzen: Mädchen sollten von der Vorstellung befreit werden, dass Sorgearbeit nur Frauensache und somit ihre Aufgabe ist, und Jungen sollten lernen, dass für die Haus- und Sorgearbeit alle zuständig sind. Dies ist jedoch nicht einfach und erfordert Zeit und viel Aufmerksamkeit. In einer Studie von Eurac Research (KiDiLi) wurde etwa beobachtet, wie sich Pädagog*innen an deutschsprachigen Kindergärten trotz aktiver Bemühungen, traditionelle Geschlechterbilder aufzubrechen, immer wieder an diesen orientieren. All diese Initiativen haben eines gemeinsam: die Wichtigkeit der Aufklärung über Geschlechterstereotypen und der Überwindung solcher Rollenbilder. Davon profitieren in erster Linie die Männer, die ihre Familie mehr genießen könnten oder sich nicht in stereotype Vorstellungen von Männlichkeit eingezwängt fühlen müssten.

Was ist inklusive Sprache?

Inklusive Sprache stellt alle Geschlechter und generell alle Arten von Vielfalt gleichermaßen respektvoll und angemessen dar. Zum einen verleihen Wörter Dingen Wirklichkeit, die nicht existieren, solange sie nicht benannt werden; zum anderen beeinflusst die Verwendung bestimmter Wörter anstelle anderer unsere Vorstellung der Geschlechterrollen. Zwei Beispiele: 636 Schüler*innen italienischsprachiger Oberschulen in Südtirol wurden gebeten, die Berufe ihrer Eltern zu benennen. Bei den weiblichen Berufsbezeichnungen war in einigen Fällen eine gewisse Kreativität zu beobachten, wie etwa bei imprenditora (statt imprenditrice, Unternehmerin), und bei selten verwendeten weiblichen Formen gab es Anzeichen für sprachliche Zweifel, wodurch es zu interessanten Kombinationen kam, wie etwa bei medico chirurga (im Unterschied medico chirurgo, der männlichen Berufsbezeichnung). In 75 Fällen wurde der Beruf beider Elternteile mit der männlichen Form bezeichnet (die betreffenden Berufe sind imprenditore, Unternehmer, und avvocato, Anwalt). Es könnte sich durchwegs um gleichgeschlechtliche Elternpaare handeln. Es könnte aber auch sein, dass der weibliche Elternteil von einem generischen Maskulinum verdeckt wird. In Innsbruck hat ein universitäres Forschungsteam fünf Millionen radiologische Befunde aus den Jahren 2007 bis 2019 untersucht. Die Befunde sind insgesamt sehr ähnlich und stark standardisiert, doch sorgfältige Analysen zeigen, dass in den Befunden von Frauen beispielsweise häufiger Verkleinerungsformen (wie „Zystchen“) auftauchen, die dazu führen können, dass Patientinnen seltener Nachfolgeuntersuchungen erhalten. Zudem werden Schmerzbeschreibungen oft in vagen, ungenauen Begriffen wiedergegeben, fast so, als wolle man das Klischee der „komplizierten“ Frau bestätigen. Verschiedene internationale Studien haben gezeigt, wie stereotype Geschlechterdarstellungen sich negativ auf die Gesundheit auswirken können: Männer erhalten nicht ausreichend Hilfe bei psychischen Problemen, während körperliche Leiden von Frauen oft psychologisiert und bagatellisiert werden.

Strategien für gendergerechtere Sprache: einige Beispiele

Auch in Südtirol haben sich mittlerweile viele Institutionen, Organisationen und Unternehmen Leitlinien für eine inklusive Sprache gegeben, die allerdings nicht bindend sind. Es gibt verschiedene Möglichkeiten:

1) lexikalische Strategien wie Paarform („Schülerinnen und Schüler“), Kollektivbezeichnungen („Kundschaft“ statt „Kunden“) oder nicht personenbezogene Bezeichnungen („kritische Stimmen“ statt „Kritiker“)

2) syntaktische Strategien wie Relativsätze („wer teilnimmt” statt „die Teilnehmer”) oder Passivsätze

3) Genderzeichen. Im Deutschen wird der Genderstern * und das Binnen-I sowie der Doppelpunkt, der Schrägstrich, der Unterstrich oder auch das „Ent-gendern“ durch das „y“ verwendet (die/der Lehrer/in = das Lehry). Im Italienischen kann der Asterisk ( “ciao a tutt*”) oder das sogenannte Schwa-Symbol (-ə /-з) verwendet werden, um kein Geschlecht zu bevorzugen und auch nicht-binäre Menschen einzuschließen. Die Verwendung dieser Symbole könnte allerdings Menschen mit verschiedenen Formen von Lese- und Schreibschwierigkeiten ausschließen.

Auf das generische Maskulinum zurückzugreifen mag oft am einfachsten erscheinen, aber es kann zu Unklarheiten führen und löst bei Menschen, die sich dadurch nicht berücksichtigt fühlen, Unbehagen aus. So ist eine Aussage nicht eindeutig, wenn das Maskulinum sowohl für Männer als auch für Menschen aller Geschlechter verwendet wird. Aus der Formulierung „Im Kindergarten gibt es wenige Erzieher“ geht nicht hervor, ob es nur wenige männliche Erzieher gibt oder generell wenig Personal. Um nachzuempfinden, wie manche Menschen sich angesichts von Texten im generischen Maskulinum fühlen, kann man die neue Universitätsordnung der Universität Trient lesen, die durchgängig die weibliche Form verwendet, auch wo sie sich auf Positionen bezieht, die derzeit von Männern besetzt sind.

Gewalttätige Männer nutzen moralische und religiöse Codes aus, um ihr Verhalten zu rechtfertigen.

Was ist der Unterschied zwischen Femizid und Mord?

Der Femizid ist ein Mord, der seinen Ursprung in einem spezifischen patriarchalischen soziokulturellen Kontext hat: in einem Umfeld, in dem die Vorstellung vorherrscht, der Mann habe das Recht, den Handlungsspielraum der Frau zu kontrollieren, bis zur extremsten Konsequenz, über ihr Leben zu entscheiden. Femizide sind nur die Spitze eines Eisbergs geschlechtsspezifischer Gewalt, die sich am häufigsten in Form sexualisierter Gewalt, psychischer Gewalt (Kontrolle der sozialen Kontakte, Überwachung des Telefons), oder wirtschaftlicher Gewalt (Kontrolle über das Geld im Haushalt, Arbeitsverbot … ) äußert. Laut der von ASTAT veröffentlichten Daten haben die vier Anti-Gewalt-Zentren in Südtirol im Jahr 2022 600 Frauen aufgenommen (+2,3 Prozent im Vergleich zu 2021) und 5.350 Dienstleistungen erbracht, vor allem als Antwort auf Informations- und Beratungsanfragen. Nach Angaben der Mitarbeiter*innen der Zentren nimmt das Problem zu: Im Jahr 2023 wurden in Südtirol neben zahlreichen Polizeieinsätzen auch zwei Femizide registriert.

Die Istanbul-Konvention ist das wichtigste Rechtsinstrument zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und von häuslicher Gewalt. Jedoch haben nur 39 Staaten die Konvention ratifiziert, darunter Italien. Im Jahr 2006 aktivierte die Abteilung für Chancengleichheit des Präsidiums des Ministerrates der Italienischen Republik die gebührenfreie Nummer 1522, die rund um die Uhr erreichbar ist. Der Dienst, der in verschiedenen Sprachen verfügbar ist, garantiert den Opfern von Gewalt Anonymität, informiert darüber, wo sie Unterstützung erhalten können, um sich aus Gewaltsituationen zu befreien, und ermöglicht in Notfällen dank der Zusammenarbeit mit der Polizei ein schnelles Eingreifen.

Ist geschlechtsspezifische Gewalt eine Frage der Kultur?

Das würde bedeuten, dass bestimmte Kulturen, geografische Gebiete oder Religionen anfälliger für geschlechtsspezifische Gewalt sind, aber Studien zeigen, dass sich die Situation der Frauen nicht linear entwickelt, sondern vielmehr von den jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen abhängt. Im städtischen Afghanistan beispielsweise studierten und arbeiteten Frauen in den 1980er Jahren und gingen in Miniröcken und mit offenem Haar auf die Straße. Wer sich mit Gewalt gegen Frauen beschäftigt, nennt das Argument, geschlechtsspezifische Gewalt sei für bestimmte Gruppen – meist sind Menschen mit Migrationshintergrund gemeint – „normaler”, eine Kulturalisierung der Gewalt. Angesichts von Situationen, die oft ausweglos erscheinen, können selbst Mitarbeitende in Anti-Gewalt-Zentren dieser Versuchung erliegen, erklärt in einem Interview mit Eurac Research die Forscherin Marina della Rocca, die selbst über langjährige Arbeitserfahrung in Anti-Gewalt-Zentren verfügt. Della Rocca betont jedoch, dass sich die von ihr interviewten Migrantinnen der Tatsache sehr wohl bewusst sind, „dass gewalttätige Männer moralische und religiöse Codes ausnutzen, um ihr Verhalten zu rechtfertigen.“

Frauen machen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung aus. In der Politik spiegelt sich dieses Verhältnis aber nicht wider …

Frauen sind eindeutig unterrepräsentiert, obwohl teilweise Maßnahmen ergriffen wurden, um dies zu ändern: Weltweit liegt der Frauenanteil in den Parlamenten bei weniger als einem Drittel. Ruanda hat den höchsten Frauenanteil in der Abgeordnetenkammer (61,3 Prozent), gefolgt von Kuba (53,4 Prozent) und Nicaragua (51,7 Prozent). Italien liegt mit 32,3 Prozent Politikerinnen in der Abgeordnetenkammer auf Rang 56 – noch über dem weltweiten Durchschnitt von 26,5 Prozent.

In Südtirol leben mehr Frauen (50,4 Prozent) als Männer, doch nur etwa ein Zehntel der Gemeinden haben eine Bürgermeisterin, und im Landtag sind weniger als ein Drittel der Abgeordneten Frauen.

Bürgermeister*innen nach Wahlfraktion 2024

Die Geschlechterforschung argumentiert, diese Unterrepräsentation habe auch Einfluss auf die politische Agenda, weil dadurch bestimmte Erfahrungen und Befindlichkeiten unterrepräsentiert seien. So haben zahlreiche internationale Umfragen und Studien gezeigt, dass Frauen im Durchschnitt ein ausgeprägteres Umweltbewusstsein haben, nachhaltigen Lebensstilen offener gegenüberstehen und eher bereit sind, sich in Umweltfragen zu engagieren. Auch aus einer Umfrage zu Nachhaltigkeit und Klimawandel in Südtirol, die von Eurac Research und dem Statistischen Landesamt (ASTAT) im Jahr 2022 durchgeführt wurde, geht hervor, dass Frauen es generell für notwendiger halten, im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes tätig zu werden. 62,7 Prozent von ihnen sind der Ansicht, dass in Südtirol zu wenig für die Natur und die Ökosysteme getan wird, verglichen mit 55,6 Prozent der Männer. Interessant ist auch, dass Frauen häufiger als Männer der Meinung sind, dass die Hauptverantwortung für mehr Nachhaltigkeit beim Einzelnen (und damit bei ihnen selbst) liegt. Männer teilen die Auffassung der individuellen Verantwortung, sehen aber Politik und Wirtschaft allgemein stärker in der Verantwortung.

Auch die Stadt- und Verkehrsplanung würde anders aussehen, wenn auf politischer Ebene eine größere Vielfalt an persönlichen Erfahrungen vertreten wäre. Eine Umfrage in einem peripheren Tal, in Mühlwald, ergab beispielsweise, dass die Begleitung anderer Menschen bei ihren täglichen Aufgaben zu 92 Prozent von Frauen und nur zu 8 Prozent von Männern übernommen wird, Frauen somit auch sehr unterschiedliche Bedürfnisse in Bezug auf die Mobilität haben.

Welchen Platz nehmen in Südtirol Feminismus und LGBTQIA+- Bewegungen ein?

Wie in Provinzstädten häufig, erreichte der Aktivismus auch Südtirol ein wenig verspätet, getragen von Menschen, die woanders gelebt hatten und dort inspiriert worden waren. 1970 wurde die Gruppe Kollontaj gegründet, die nach der russischen Sozialistin und Feministin Aleksandra Kollontaj benannt war; die Gruppe trug dazu bei, dass 1973 das erste Beratungszentrum für Frauen in der Provinz eröffnet wurde, eine Zweigstelle der AIED (Associazione Italiana per l’Educazione Demografica). Ab Mitte der 1970er Jahre organisierten sich die Frauen des Katholischen Verbands der Werktätigen (KVW) und es bildeten sich feministische Gruppen innerhalb der Südtiroler HochschülerInnenschaft und der linksorientierten „Südtiroler Volkszeitung“. 1979 wurde ein Ableger der international agierenden „Frauen für Frieden“ gegründet. Auch innerhalb der großen politischen Parteien bildeten sich nach und nach feministische Gruppen. Den Verein „Centaurus Arcigay Alto Adige Südtirol“, der sich gegen jegliche Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität einsetzt, gibt es seit 1993. Seit dem Jahr 1997 geben der Landesbeirat für Chancengleichheit und das Frauenbüro die dreisprachige Zeitschrift „ëres - fraueninfodonne“ heraus. Eine Plattform für Austausch und gegenseitige Unterstützung ist die Facebook-Gruppe SUSI: Südtirol Sisters. Seit 2023 gibt es auch Alto Adige Pride Südtirol.

Eine Kundgebung der „Frauen für Frieden“ im Dezember 1981 in BozenCredit: Archivio storico delle donne / Fondo Frauen für Frieden | All rights reserved

Charakteristisch für den Feminismus in Südtirol ist, dass es ihm gelungen ist, sich mit konservativen und religiösen Kreisen zu vernetzen und gemeinsam Themen voranzubringen, die alles andere als konservativ sind. Die Südtiroler Bäuerinnenorganisation ist mit rund 17.000 Mitgliedern die größte Frauenorganisation des Landes. Einige Bäuerinnen haben eine Sozialgenossenschaft gegründet, die dezentral auf den Bauernhöfen über 500 Kinder betreut und mehr als 100 Frauen beschäftigt. Die Genossenschaft ermöglicht es den Bäuerinnen, die zuvor für unbezahlte Sorgearbeit aufgewendete Zeit unternehmerisch zu nutzen, und dadurch ihre Rolle neu auszuhandeln. Auch die Katholische Frauenbewegung hat großes Gewicht; die Katholische Jugend Südtirols hat 2022 die Ausgabe ihrer Zeitschrift „Hosch a Meinung?“ der Diskussion um das Frauenpriestertum und die Segnung von Homosexuellen, sowie anderen geschlechtsspezifischen Fragen gewidmet.

Die vier Wellen der Frauenbewegung


1) Zwischen dem Ende des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Forderungen: Zugang zu höherer Bildung, Wahlrecht.

2) 1960er und 1970er Jahre. Forderungen: Reproduktive Rechte, gleichberechtige Aufteilung der Sorgearbeit, Recht auf Arbeit. Slogan: Das Private ist politisch.

3) 1990er Jahre. Internationalisierung der Bewegung mit der Aufnahme von Forderungen aus dem Globalen Süden. 1989 definiert die afroamerikanische feministische Juristin Kimberlé Crenshaw das Konzept der „Intersektionalität“: Im Mittelpunkt stehen Menschen, die unterschiedliche Diversitätsdimensionen in sich vereinen (etwa Geschlecht oder sexuelle Orientierung, Hautfarbe, Behinderung, unterschiedliche Religionszugehörigkeit, Armut usw.) und somit auch potenziell vielfältigen Formen von Diskriminierung ausgesetzt sind.

4) Seit 2012. Weitere Internationalisierung durch soziale Medien. Forderungen: Körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, Kampf gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch, gegen Homophobie und Transphobie. Slogans: #MeToo, #NichtEineWeniger, #EineVonUns.

Die Situation der Frauen entwickelt sich nicht linear, sondern hängt von den jeweiligen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen ab.

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