Die Mumie mit dem bemalten Leichentuch

Die Konservierungsmaßnahmen

Die Konservierungsmaßnahmen an der Mumie mit dem bemalten Leichentuch wurden von den Restauratorinnen des Centro Conservazione e Restauro „La Venaria Reale“ durchgeführt.

Der Eingriff hat sich als komplexes Unterfangen erwiesen. Dabei wurden verschiedene, zum Teil besonders innovative Methoden angewendet. Um das Leichentuch langfristig zu erhalten, haben die Restauratorinnen ihre Arbeit detailliert geplant: Es wurde in seiner Struktur gefestigt, die bemalte Oberfläche bestmöglich sichtbar gemacht und die darunterliegenden Bandagen in Form gebracht und gefestigt.  

Erste Maßnahmen: Die Analyse des Konservierungszustandes

Als die Mumie in der „Venaria Reale“ ankam, wies sie unterschiedliche Abnutzungserscheinungen auf. Diese erschwerten es den Restauratorinnen, sowohl die Charakteristiken der Malerei als auch die Stratigraphie (Schichtenstrukur) der darunter liegenden Textilien einzuordnen. Noch gut erhaltene Flächen des Leichentuchs fanden sich neben großflächigen Lücken und Rissen, die Oberfläche des Tuchs war somit ungleichmäßig und unvollständig.

Bei einer ersten Begutachtung stellten die Restauratorinnen fest, dass das Grabtuch ursprünglich ganzflächig bemalt war und zudem mit Stoffbändern in Form gehalten wurde.  Von den Stoffbändern sind heute nur noch einige Fragmente erhalten, die mit einem dunklen Harz fixiert wurden. Unter dem bemalten Leichentuch entdeckten die Restauratorinnen außerdem ein aufwändiges System mit sich überlagernden Bandagen und ein zusätzliches, unbemaltes Leichentuch aus Leinen.

Paola Buscaglia, Leiterin des Laboratorio scultura lignea, Centro Conservazione e Restauro La Venaria Reale

Credit: CCR Venaria

Zu den Analysen

Mit Unterstützung der Konservierungsexperten des „Centro“ wurde die Mumie genauer untersucht. Um die Originalmaterialien zu erfassen, nahmen die Fachleute eine Reihe nicht-invasiver, multispektraler diagnostischer Untersuchungen vor. Um die Farbpalette genauer definieren zu können, untersuchten sie außerdem, ob eine Vorzeichnung der Malerei vorhanden war.

Um die Maltechnik zu erfassen, führten die Restauratorinnen stichprobenartige, nichtinvasive Analysen durch und entnahmen einige Farbpigmente. Mithilfe von Licht- und Elektronenmikroskopen stellten sie die Abfolge der Malschichten fest. Auf dieselbe Art und Weise wurden die Textilfasern analysiert: So konnten die Restauratorinnen nicht nur erkennen, welche textilen Fasern verwendet wurden, sondern auch, ob die Bandagen mit harzigen Substanzen oder Farbstoffen behandelt worden waren.

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Diagnostische UntersuchungCredit: CCR Venaria | All rights reserved
Diagnostische UntersuchungCredit: CCR Venaria | All rights reserved
Diagnostische UntersuchungCredit: CCR Venaria | All rights reserved

Bereit für die Reinigung

Die Mumie war mit massiven Ablagerungen an der Oberfläche bedeckt. Diese wurden nach den ersten Analysen mit dem Mikrostaubsauger entfernt. Die Spitze des Absaugers wurde mit einem feinmaschigen Netz geschützt, um die textile Oberfläche zu schützen.

Um die Ablagerungen an der Oberfläche der Malerei zu entfernen, wurden wasserhaltige Lösungen mit einem speziellen Hydrogel verwendet. Dadurch konnten die Lösungen kontrolliert aufgetragen und die Verunreinigungen beseitigt werden.  

Die Reinigung führte dazu, dass die Farben und vielen Details der Bemalungen wieder deutlich sichtbar wurden.

Roberta Genta, Leiterin des Laboratorio manufatti tessili, Centro Conservazione e Restauro La Venaria Reale

Credit: CCR Venaria

Eine Synergie zwischen traditionellen und innovativen Methoden

Die Konservierungsarbeiten an der Mumie erfolgten mithilfe verschiedener Methoden: Um das Leichentuch zu konservieren, wandten die Restauratorinnen die Methode der Nähkonservierung an. Die Bandagen unterhalb des bemalten Leichentuches wurden hingegen mit einem passend eingefärbten Seidencrepeline gefestigt. Am Leichentuch wurden die schadhaften Stellen fadengerade zurechtgelegt, wobei die losen Fäden mit Nanozellulose befestigt wurden.   

Schließlich wurden bei allen Drehbewegungen, die für die Restaurierung der Mumie notwendig waren, Hilfsmittel benutzt, die bei Notfällen und in der Ersten Hilfe zum Einsatz kommen. So konnte man Risiken minimieren, die entstehen können, wenn man menschliche Überreste unsachgemäß bewegt.

Credit: CCR Venaria

Detail vom Kopf der Mumie mit dem bemalten Leichentuch vor und nach der Restaurierung

Die Farbanalyse

Die Malerei auf dem Leichentuch zeigt die wichtigsten anatomischen Merkmale des Gesichts und des Oberkörpers in stilisierter Form. Die unteren Gliedmaßen sind hingegen von einem „Federkleid" bedeckt. Es zeigt auf beiden Seiten eine schriftähnliche Dekoration auf gelbem Grund. Die Arme sind bemalt und am Körper enganliegend mit Armbändern verziert.

Die Anatomie des Gesichtes ist auf einem rosa Hintergrund dargestellt. Die Augen der Verstorbenen sind deutlich sichtbar; die Pupillen und die Augenform sind mit Schwarz auf einen weißen Hintergrund aufgemalt. Die Augenbrauen sind ebenfalls schwarz. Weitere anatomische Details wie Ohren, Nase, Mund, Gesichtsprofil und Hals sind durch ein kräftiges Rot betont. Das Gesicht wird von einer schwarzen Perücke umrahmt, die auf Stirnhöhe von einem weißen Band mit geometrischen Verzierungen unterbrochen wird.

Die Malerei weist folgende Polychromie auf:

  1. Weiß: Kalziumkarbonat (CaCO₃), natürliches Pigment, das aus Kalkgestein und Muskelschalen gewonnen wird und seit dem Altertum bekannt und weit verbreitet ist.

  2. Blau: Ägyptisch Blau (CaO·CuO·4SiO₂ basisches Kupfer-Kalzium-Silikat) ist ein künstliches Mineralpigment. Die Originalrezeptur bestand aus Sand, Kalziumkarbonat, einer Kupferverbindung (Malachit oder reines Kupfer) und einem Natriumsalz, das als Schmelzmittel diente, um die Temperatur der Mischung zu senken. Es wurde durch Erhitzen der Mischung in einem Ofen hergestellt. Die Erfindung des Pigments wird den Ägyptern der ersten Dynastie zugeschrieben.

  3. Dunkelrot: wird aus Mineralien von verschiedenen Eisenoxiden mit Tonverunreinigungen gewonnen. Sie sind in der Natur weit verbreitet. Ocker ist seit dem Altertum bekannt und wird seither verwendet.

  4. Rot-Orange: Blei (Pb₃O₄ Bleioxyd), ist in der ägyptischen Malerei seit der Römerzeit weit verbreitet. In seinem natürlichen Zustand kommt es nur in begrenzten Mengen vor und wird durch Erhitzen leicht zersetzbarer Bleisalze (Lithargyrum oder Bleioxyd) auf über 700°C oder durch Kalzinieren von natürlichem Weißbleierz oder künstlichem Bleiweiß (basisches Bleicarbonat) bei 900-1.000°C gewonnen.

  5. Schwarz: Pigment auf Kohlenstoffbasis. Diese Pigmente auf Kohlenstoffbasis bilden eine Gruppe von dunkel gefärbten Materialien, die seit dem Altertum verwendet werden. Ursprünglich wurden sie durch das Verbrennen von Harz oder Holzkohle aus Weichholz bzw. durch den Rauch der Flammen gewonnen.

  6. Gelb: Wissenschaftliche Untersuchungen deuten auf die Verwendung eines organischen Farbstoffes hin (Safran, Wau usw.) hin, der allgemein zur Herstellung von Färbemittel verwendet wird.

  7. Rosa: Wird aus einer Kombination von Weiß (Kalziumkarbonat), Dunkelrot und einem organischen Farbstoff (Rotlack) gewonnen.

Il Centro Restauro e Conservazione La Venaria Reale

Das Centro Restauro e Conservazione „La Venaria Reale“ (Zentrum für Restaurierung und Konservierung) ist eine Stiftung, die 2005 gegründet wurde. Das Zentrum gilt als Fortbildungs- und Forschungseinrichtung für die Konservierung des Kulturerbes und ist von nationaler Bedeutung.

Das Zentrum verfügt über neun - nach Materialien aufgeteilte - Restaurierungslabore. Außerdem gibt es im Zentrum ein Fotolabor und wissenschaftliche Labore für diagnostische Tätigkeiten. Vor den Toren Turins ist das Zentrum in den ehemaligen Stallungen der sogenannten Reggia di Venaria aus dem 18. Jahrhundert untergebracht.   

Im Zentrum gibt es außerdem eine Weiterbildungsstätte für Restauratoren. Das Zentrum organisiert – gemeinsam mit der Universität Turin – einen Studiengang für die Ausbildung zum Restaurator von Kulturgütern.

Die Konservierungsmaßnahmen wurden in Zusammenarbeit mit der Abteilung Chemie und Industierelle Chemie der Universität Pisa, mit dem Consorzio Interuniversitario Sistemi Grande Interfase (CSGI), mit der Universität Florenz und mit Unterstützung des MUR (FOE E-RIHS IT und PON Ricerca e Innovazione 2014-2020, CCI: 2014IT16M2OP005) durchgeführt.