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Gender, Mode, Nationalität und „Maranza“
Gemeinsames Projekt der Mittelschulen in Bozen Haslach zum Thema „Zugehörigkeit“
Einen Einblick in das wissenschaftliches Arbeiten geben– das war die ursprüngliche Idee hinter dem Citizen-Science-Projekt, das an der italienischsprachigen Fermi-Mittelschule und der deutschsprachigen Egger-Lienz-Mittelschule in Bozen durchgeführt wurde. Tatsächlich erwies es sich als die Gelegenheit für eine – so nicht unbedingt übliche – Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen, Schülerinnen, Schülern, Forscherinnen und Forschern . Und um zu verstehen, was 14-Jährige von heute unter „Zugehörigkeit“ verstehen.
Im Bozner Stadtviertel Haslach. Ein betongraues Gebäude, die Fassade geometrisch, mit Flachdach, großen Vordächern und großen Fenstern. Die linke Gebäudehälfte mit roten Fensterrahmen beherbergt die Mittelschule „Enrico Fermi“, in der rechten Hälfte mit blauen Fensterrahmen ist die Mittelschule „Albin Egger-Lienz“ untergebracht. Es ist ein Bild, das kaum besser das Südtiroler System mit seinen nach Amtssprachen getrennten Infrastrukturen und Bildungseinrichtungen widerspiegeln könnte. Die Eingänge der Fermi-Schule und der Egger-Lienz-Schule sind nicht einmal zwanzig Meter voneinander entfernt, doch findet der Unterricht parallel statt, ohne jegliche Berührungspunkte. Vor diesem Hintergrund hat ein Citizen-Science-Projekt der Forscherinnen von Eurac Research die Karten neu gemischt.
„Bei den ersten Treffen waren einige Lehrerinnen und Lehrer sehr neugierig darauf, die für sie bisher unbekannte jeweils andere Hälfte des Gebäudes zu besuchen.“
Verena Platzgummer
Ein gemeinsames Projekt zweier dritter Klassen (3A und 3D): 40 Schülerinnen und Schüler teilten sich in neun kleine schulübergreifende Gruppen. Sie trafen sich sechs Mal für zwei Stunden, um ein Forschungsprojekt mit einer offenen Fragestellung auszuarbeiten, durchzuführen und die Ergebnisse vor Mitschülerinnen und Mitschülern, Lehrkräften und Forscherinnen und Forschern zu präsentieren. „Eines unserer Ziele war es, dass die Jugendlichen die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens kennenlernen und anwenden. Aber wir haben bald gemerkt, dass die Zusammenarbeit zwischen den Schulen ein ebenso wichtiges Ziel ist“, erklärt Verena Platzgummer, die für das Projekt verantwortliche Sprachwissenschaftlerin. „Bei den ersten Treffen waren einige Lehrerinnen und Lehrer zum Beispiel sehr neugierig darauf, die für sie bisher unbekannte jeweils andere Hälfte des Gebäudes zu besuchen.“
Auch für die Jugendlichen, die an der Initiative teilnahmen, war der Austausch eine Entdeckung. „Es war schön, durch die Arbeit an konkreten Projekten neue Leute kennenzulernen“, kommentierte S. (Egger-Lienz). „Im Unterricht gab es davor noch nie eine Gelegenheit, sich mit den anderen auszutauschen “, so S. (Fermi).
Das Zusammentreffen bzw. der Vergleich zwischen den beiden Schulen schlug sich jedoch nicht in den Themen der Arbeitsgruppen nieder. Die Forscherinnen hatten lediglich ein übergeordnetes Thema als roten Faden vorgegeben: das Gefühl der Zugehörigkeit. Und die von den Gruppen gewählten Ableitungen waren zuweilen unerwartet.
Welche Zugehörigkeit?
„Nachdem die anfängliche Zurückhaltung überwunden und das Eis gebrochen war, haben sich die Unterschiede zwischen den beiden Schulen aufgelöst“, betont Platzgummer. „Nur die Gruppe, die das Zusammengehörigkeitsgefühl durch Sport untersuchte, zeigte einige Unterschiede zwischen den Schulen auf. Ansonsten bestätigten die Mädchen und Jungen, dass sie den gleichen Kleidungsstil haben, sich in ihrer Freizeit für die gleichen Dinge interessieren und über Themen nachdenken, die ich mir ehrlich gesagt von Dreizehn- Vierzehnjährigen nicht erwartet hätte. Eine der Fragen, der leider aus organisatorischen Gründen nicht mehr nachgegangen werden konnte, war zum Beispiel: ‚Wie drücken Menschen in Bozen ihre Kultur durch ihren Kleidungsstil aus?‘ Ich wäre sehr neugierig auf die Antworten gewesen.”
Unter den Abschlusspräsentationen beschäftigten sich zwei mit Mode und damit, wie Lehrkräfte den Style ihrer Schülerinnen und Schüler sehen, andere mit Musik, Videospielen, Sport und Jugendsubkulturen. Auch an komplexen Themen mangelte es nicht, z. B. die Gründe, warum man sich einer Nation zugehörig fühlt, welches Bild sich Jugendliche mit Migrationshintergrund von Italienern und Italienerinnen ohne einen solchen Migrationshintergrund gemacht haben, oder die Bedeutung, die die Geschlechtsidentität für Lehrpersonen auf der einen und Schülerinnen und Schüler auf der anderen Seite hat. Letzteres traf beim Publikum bei der Abschlusspräsentation auf besonderes Interesse. „Was mich am meisten überrascht hat, war die Erkenntnis, dass alle die gleichen Fragen und Meinungen haben, wenn es um das Vorhandensein von mehreren Geschlechtsidentitäten geht“, erklärt A. (Egger-Lienz), Sprecherin der Gruppe. „Ich habe mich sehr über die Diskussion gefreut.“
Verschiedene Ansätze
Alle waren in der Lage, ihre eigenen Fragestellungen mit wissenschaftlichen Methoden zu beantworten, so wurden zum Beispiel Fragebögen in den Klassenzimmern verteilt. „Wir haben betont, wie wichtig es ist, sorgfältig und genau zu arbeiten. Aber wir haben keine einschränkenden Hinweise in methodischer Hinsicht gegeben. Die einzige Auflage betraf die Definition der Forschung. Bei der ersten Sitzung haben wir erklärt, dass es offene Fragen sein sollten und dass es sich nicht um eine echte Forschungsfrage handelt, wenn man die Antwort darauf auf Google finden konnte“, erinnert sich Platzgummer.
Für einige war die Aufgabe einfach: „Wir haben in unseren Klassen Interviews geführt, die Ergebnisse dann analysiert und mit Grafiken dargestellt. Uns reichten sogar die vorgesehenen Arbeitstreffen in der Schule. Ich hätte fast etwas Schwierigeres erwartet“, erklärt S. (Fermi), die außerdem schon sehr klare Vorstellungen von ihrer Zukunft als Biologin hat, vielleicht in einem Safari-Zoo.
„Ich bekomme in der Schule nicht wirklich gute Noten. Aber für diese Aufgabe habe ich mich angestrengt und sie gut gemacht, weil ich wirklich wissen wollte, was die anderen denken“
T. (Mittelschule Fermi)
Einige andere gingen das Vorhaben ein wenig „lockerer“ an, kamen aber dennoch zu einem aussagekräftigen Ergebnis. Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Gruppe, die sich mit der Subkultur der „Maranza“ beschäftigte, die durch einen charakteristischen Kleidungs- und Musikstil geprägt ist: Wer sind die Maranza? Wie sehr identifizieren sich die Mitschüler und Mitschülerinnen damit? Würden sie sich wie ein Maranza kleiden? Würden sie mit einem oder einer Maranza zusammen sein wollen? Die Gruppe führte 15 Interviews durch und präsentierte Ergebnisse, die das Potenzial für eine anthropologische Analyse hätten. „Ich bekomme in der Schule nicht wirklich gute Noten. Aber für diese Aufgabe habe ich mich angestrengt und sie gut gemacht, weil ich wirklich wissen wollte, was die anderen denken“, sagt T., der neben einer (vielleicht) wiedergewonnenen schulischen Motivation auch an zwischenmenschlichen Beziehungen gewonnen hat: „Ich habe neue Kumpels und sogar eine Freundin aus der anderen Schule.“
Schließlich erwiesen sich gerade die zwischenmenschlichen Beziehungen als großer Erfolg des Projekts. „Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler haben gut zusammengearbeitet“, so Platzgummer abschließend. „Wir hoffen, dass dies nur der Anfang einer andauernden Zusammenarbeit ist.“
Il progetto
“Citizen Science research on co-located schools in Finland and Italy” ist ein Projekt, bei dem Eurac Research mit der Åbo Akademi Universität und der Universität von Jyväskylä zusammenarbeitet. Auch in Finnland gibt es zwei offizielle Unterrichtssprachen, Finnisch und Schwedisch, und das Schulsystem basiert wie in Südtirol auf getrennten Infrastrukturen und Bildungseinrichtungen.