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Kreislaufwirtschaft im Bau

Eurac Research will Unternehmen dabei unterstützen, Rohstoffe möglichst nachhaltig zu nutzen

Ludovica Galeazzi
Credit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi
by Sarah Gunsch

Drei Millionen Tonnen Abfall produziert das Baugewerbe jährlich in Trentino-Südtirol. Nicht alles davon ist Müll. Es verbergen sich darin viele wertvolle Materialien, die wiederverwendet werden könnten. Hier kommt das Konzept der Kreislaufwirtschaft ins Spiel – und das Circular-Lab von Eurac Research.

Jedes Jahr fallen in unserer Region über drei Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle (im Fachjargon CDW – construction and demolition waste) an, die aufwendig getrennt werden müssen, bevor sie recycelt werden können. Ungefähr die Hälfte davon ist Baumischabfall wie beispielsweise Steine, Putz, Tapeten, Rohre, Kabelreste, Altmetall und diverse Glas-, Holz- und Plastikabfälle, ein weiteres Viertel ist Asphalt, gefolgt von Zement und Erdaushub.

Zumindest ein Teil davon wäre vermeidbar, etwa wenn der Lebenszyklus von Komponenten und Produkten verlängert werden könnte – was nicht nur nachhaltiger, sondern auch wirtschaftlich von Vorteil wäre. Doch inwieweit sind Unternehmen in Südtirol daran interessiert? Und wo konkret sehen sie Hindernisse und Möglichkeiten? Um das herauszufinden, hat Martino Gubert, Ingenieur und Forscher am Institut für Erneuerbare Energie, Gespräche mit lokalen Unternehmen geführt, die im Holz-, Fenster- oder Fassadenbau tätig sind.

Dabei ging es ihm hauptsächlich darum zu verstehen, inwieweit die Firmen daran interessiert sind, gebrauchte Materialien wiederzuverwenden, und wo sie Anwendungsmöglichkeiten für kreislaufwirtschaftliche Prozesse bei ihren Produkten und Systemen sehen.

„Für uns waren diese Gespräche sehr wichtig, weil sie uns einen Einblick in die Logik der Unternehmen gegeben haben und uns so dabei halfen, unser Beratungsangebot mit den Bedürfnissen der Produktionsbetriebe abzugleichen“, sagt Martino Gubert.

Martino Gubert mit dem Material einer rückgebauten HolzfassadeCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi

Die Umfrage zeigte, dass die Unternehmen dem Thema grundsätzlich interessiert und aufgeschlossen gegenüberstehen, und half dabei einige ihrer Bedenken auf den Punkt zu bringen: rechtliche Unsicherheit, normative Barrieren, Zweifel an Qualität, Leistungsfähigkeit, Garantien, Nachfrage und Kosten-Nutzen-Rechnung, fehlende Anreize und die Logistik. Großes Interesse gab es an Schulungen und Fortbildungsangeboten im Bereich Kreislaufwirtschaft sowie an Verbesserungen im Design und der Herstellung der Produkte, um diese schon von vornherein gezielt kreislaufwirtschaftlich zu planen. Potenzial sehen viele auch in den Produktionslinien, um den Verschnitt und Abfall in der Herstellungsphase zu reduzieren. Auch spezifische Label mit denen zirkuläre Produkte und Materialien zertifiziert werden, stießen auf Zustimmung.

Was ist Kreislaufwirtschaft?

Um zu erklären, was mit Kreislaufwirtschaft eigentlich gemeint ist, wird oft vom Gegenteil ausgegangen, der sogenannten „Wegwerfwirtschaft“, auch als Linearwirtschaft bekannt. Dieses System funktioniert meist folgendermaßen: Waren werden produziert, auf den Markt gebracht, genutzt und dann weggeworfen. Viele Produkte haben eine sehr kurze Nutzungsphase und der Großteil davon wird letztendlich zu Müll – nur ein sehr kleiner Teil der Rohstoffe wird wiederverwendet.

„Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell des Verbrauchs und der Produktion“, erklärt Gubert. „Dabei geht es einmal darum, bestehende Materialien so lange wie möglich weiterzuverwenden, in den Kreislauf wiedereinzuführen, eventuell auch nach einer Wiederaufbereitung, und den Lebenszyklus von Produkten zu verlängern, indem sie zum Beispiel geteilt, weitergegeben oder repariert werden.“ Und hat ein Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht, wird es so zerlegt, dass die Ressourcen und Materialien so weit wie möglich in der Wirtschaft bleiben können. Sie werden also immer wieder produktiv weiterverwendet, um weiterhin Wertschöpfung zu erzeugen. „Zweitens bedeutet das, dass dieser Prozess bestenfalls schon in der Entwicklungsphase des Produktes eingeplant wird. Jedenfalls erhöht es die Möglichkeiten einer Wiederverwendung, wenn ein Produkt schon so geplant und gebaut wird, dass es leicht zerlegt werden kann“, spricht Gubert aus Erfahrung.

„Es erhöht die Möglichkeiten der Wiederverwendung, wenn ein Produkt schon so geplant und gebaut wird, dass es leicht zerlegt werden kann.“

Martino Gubert, Forscher am Institut für Erneuerbare Energie

Die Vielfalt der Möglichkeiten verdeutlichen die R-Grundsätze der Kreislaufwirtschaft:

  • refuse (vermeide unnötige Produkte);
  • rethink (überdenke den gesamten Lebenszyklus der Produkte);
  • reduce (reduziere den Verbrauch von Materialien);
  • reuse (fördere die Wiederverwendung);
  • repair (repariere defekte Produkte);
  • refurbish (bringe veraltete Geräte gezielt wieder auf den neuesten Stand);
  • remanufacture (nutze Teile defekter Produkte zur Herstellung neuer);
  • repurpose (finde neue Verwendungsmöglichkeiten für alte Produkte);
  • recycle (bringe Materialien durch Recyclingprozesse zurück in den Produktionskreislauf und vermeide neue Rohstoffe);
  • recover (verwerte nicht mehr recycelbare Materialien energetisch).

Materialien, die es nicht in diese Rs schaffen, landen auf der Mülldeponie. Das ultimative Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, möglichst viel davon zu minimieren, was als Abfall auf Deponien landet, indem die Lebensdauer der Produkte/Materialien verlängert wird. Die R-Grundsätze sind hierarchisch aufgebaut und sollten dementsprechen in dieser Reihenfolge zum Einsatz kommen.

Nachhaltiges und zirkuläres Bauen

Der hohe Ressourcenverbrauch des Bausektors macht es umso bedeutender, vermehrt kreislauffähige Gebäude zu errichten, die einfach zu warten sind, sich lange nutzen lassen und am Ende der Lebensdauer für eine hochwertiges Weiterverwendung rückgebaut werden können.

Das Forschungsteam des Instituts für Erneuerbare Energie setzt erstmal bei drei Bereichen an: Fenster-, Fassaden- und Holzbau. „Wir haben unseren Fokus ganz bewusst auf Firmen gesetzt, die Baukomponenten und -systeme herstellen. In Südtirol gibt es beispielsweise relativ viele Unternehmen, die Fenster herstellen. Hier steckt ein großes Potential für kreislaufwirtschaftliche Prozesse, weil sie schon in der Phase berücksichtigt werden können, in der Komponenten geplant und montiert werden“, erklärt Gubert.

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Demontage einer Musterfassade aus HolzCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi
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Demontage einer Musterfassade aus HolzCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi
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Demontage einer Musterfassade aus HolzCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi
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Demontage einer Musterfassade aus HolzCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi
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Demontage einer Musterfassade aus HolzCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi
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Demontage einer Musterfassade aus HolzCredit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi

Fein säuberlich aufgereiht liegen Stapel von verschiedenen Holzplanken, Dämm- und Dichtungsmaterial im Hof des Freiluft-Labors von Eurac Research. Hier haben Miren Juaristi, Leire Minguez, Stefano Avesani, Martino Gubert und ihre Kolleginnen und Kollegen eben eine Holzfassade in ihre Einzelteile zerlegt. Die Forschungsgruppe bewertet die Demontageprozesse von Prototypen und Bauteilen, um herauszufinden, wo kreislaufwirtschaftliche Prozesse ansetzen könnten und wie Zirkularität auch im Hinblick auf eine mögliche Zertifizierung gemessen werden kann.

Gubert erzählt: „Wir haben versucht, die Fassade zu zerlegen und dabei den Abbau evaluiert. So haben wir aus erster Hand erfahren, dass sie eindeutig nicht kreislaufwirtschaftlich ausgelegt ist. Wir müssen also beim Design und der Produktion ansetzen.“ Weitere ähnliche Analysen haben gezeigt, dass die wenigsten Bauteile so projektiert sind, dass sie sich abbauen lassen, ohne einen großen Anteil der Einzelteile und Materialien zu zerstören. „Bei jedem Fenster und jedem Fassadenmuster, das wir auseinandernehmen, finden wir die kritischen Punkte des jeweiligen Modells und können so den Produktionsfirmen dabei helfen, die Designs gezielt zu verbessern“, erklärt Gubert.

„Das Ziel des Projekts ist es kleine und mittlere Betriebe, die in Südtirol im Bausektor tätig sind, dahingehend zu unterstützen, dass sie ressourcenschonender werden und kreislaufwirtschaftliche Prozesse aktivieren können.“

Martino Gubert, Forscher am Institut für Erneuerbare Energie

Damit die Umsetzung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft im Bauwesen in der Gegenwart schon greift und nicht ausschließlich in die Zukunft projiziert ist, müssen zwei Ansätze parallel verfolgt werden: Es müssen erstens Wege gefunden werden, um das, was heute abgebaut und abgerissen wird, so zu zerlegen, dass möglichst viel davon weiterverwertet werden kann; und zweitens müssen neue Produkte so designt werden, dass sie in zwanzig, dreißig Jahren ressourcenschonend abgebaut und wiederverwendet werden können. Nur so kann nachhaltiges und kreislaufwirtschaftliches Bauen gelingen sowie wertvolle Ressourcen gespart und das Abfallaufkommen reduziert werden.

Das Circular Lab von Eurac Research

„Wir arbeiten am Interreg IT/AT Projekt ATTENTION mit, dessen Ziel es ist kleine und mittlere Betriebe, die in Südtirol im Bausektor tätig sind, dahingehend zu unterstützen, dass sie ressourcenschonender werden und kreislaufwirtschaftliche Prozesse aktivieren können. Der Bausektor tendiert dazu, langsamer als andere Bereiche auf solche Veränderungen zu reagieren,“ meint Martino Gubert. „Die Gespräche, die wir geführt haben, haben gezeigt, dass im Moment nur wenige Unternehmen bereit sind, tiefgreifende Kreislaufprozesse zu aktivieren – viele zweifeln an der wirtschaftlichen Rentabilität und an der Nachfrage. Die Idee ist also, mit diesen Dienstleistungen schrittweise zu beginnen, auch deshalb, weil wir erwarten, dass es in den nächsten Jahren zu wichtigen Änderungen in den rechtlichen Vorgaben und zu einem Umdenken bei den Unternehmen, aber auch den Auftraggeberinnen und Auftraggebern kommen wird.“

„Der Planungsaufwand für kreislauffähige Gebäude und Baukomponenten ist zwar im Allgemeinen etwas höher, rechnet sich aber letztendlich bei der Instandhaltung und der Sanierung sowie am Ende der Lebensdauer.“

Martino Gubert, Forscher am Institut für Erneuerbare Energie

Während sich manche Projekte von Eurac Research an politische Institutionen auf EU- und Landesebene richten, die Entscheidungen für die Allgemeinheit treffen, entwickeln andere Projekte Coachingprogramme für Unternehmen, die sich in eine kreislaufwirtschaftliche Richtung orientieren möchten. Das Projekt Attention wendet sich ganz gezielt an kleine und mittlere Unternehmen im Bausektor. Mit seinen Partnern, die ähnliche Dienstleistungen in Innsbruck, Salzburg, Treviso und der Region Friaul-Julisch Venetien anbieten, arbeitet das Forschungsteam von Eurac Research in dieser Phase besonders an der Bewusstseinsbildung und der Wissensvermittlung.

Die Einzelteile des Prototypen einer multifunktionalen Solarfensteranlage - inklusive jener, die ihn zerlegt haben.Credit: Eurac Research | Ludovica Galeazzi

Zu diesem Zweck wurde bei Eurac Research das Circular Lab eingerichtet. Hier bietet das Forschungsteam des Instituts für erneuerbare Energie den Unternehmen folgende Services an:

  • Wissensvermittlung sowie Aus- und Weiterbildung im Bereich Circular Learning;
  • Integrale Produkt- und Systemplanung im Bereich Circular Design mit Verbesserungsvorschlägen, die das Lebensende des Systems und mögliche neue zukünftige Verwendungen schon mitberücksichtigen, ;
  • Praktische Unterstützung bei der Verbesserung der zerstörungsfreien Rückbaumöglichkeiten im Bereich Circular assessment;
  • Analysen der Machbarkeit sowie der Auswirkungen auf die Umwelt;
  • Belastbarkeit und Performance Checks der weiterverwerteten Materialien und Produktkomponenten.

    „Der Planungsaufwand für kreislauffähige Gebäude und Baukomponenten ist zwar im Allgemeinen etwas höher, rechnet sich aber letztendlich bei der Instandhaltung und der Sanierung sowie am Ende der Lebensdauer. Denn die Rückgewinnung von Materialien und Wiederverwendung der Komponenten reduziert die Kosten und schafft neue Arbeits- und Geschäftsmöglichkeiten in den verschiedenen Anwendungsbereichen“, ist Martino Gubert überzeugt.

Workshop 02.10.2024


Kreislaufwirtschaft, Bauwesen und soziale Nachhaltigkeit

Der Workshop zielt darauf ab, einen Dialog zwischen Bauunternehmen, Sozialgenossenschaften und -unternehmen und lokalen Verwaltungsbehörden zu fördern, um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Südtirol zu aktivieren. Eurac Research wird neue Projekte und Dienstleistungen vorstellen, um die Kreislauffähigkeit im Bauwesen zu verbessern, wobei der Fokus auf der Rückgewinnung und Wiederverwendung von Bauteilen sowie auf der Rolle der Sozialunternehmen für die Kreislaufwirtschaft liegt. Der Workshop wird außerdem Best Practices von Start-ups und lokalen Sozialunternehmen präsentieren und die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in eine geführte Diskussion über die zu aktivierenden Synergien zur Förderung eines nachhaltigen Kreislaufmodells in Südtirol einbeziehen.

Laufende Projekte zur Kreislaufwirtschaft


ECLECTIC

Das Projekt ECLECTIC zielt darauf ab, lokale Stakeholder bei der Erstellung, Umsetzung und Überwachung von Aktionsplänen für die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Ziel ist es, einen nachhaltigen, fairen und kohlenstoffneutralen Übergang in kleinen und mittelgroßen europäischen Städten zu fördern. Durch die Einbeziehung von Unternehmen, lokalen Behörden, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Bürgerinnen und Bürgern sollen vorbildliche Praktiken ermittelt und soziale Schwachstellen identifiziert werden, die von der Einführung von Modellen der Kreislaufwirtschaft und der Sharing Economy profitieren können.

INNO.CIRCLE

Das Projekt INNO.CIRCLE hat das Ziel, die Transformation hin zu einer kreislauforientierten Wirtschaft zu unterstützen, um besonders kleine und mittlere Unternehmen dazu zu befähigen, ihre Produkte und Geschäftsmodelle neu zu konzipieren und Innovationspotenziale umzusetzen. Dazu finden eine Reihe von Awareness-Veranstaltungen und Coachingprogramme statt, um Unternehmen und Stakeholder für das Thema zu sensibilisieren.

ATTENTION

Ziel des Projekts ist es, die Kreislaufwirtschaft im Bausektor zu fördern. Ein grenzüberschreitendes, dauerhaftes Netzwerk von Beratungsstellen wird eingerichtet, das Kreislaufdienstleistungen in den Bereichen Architektur, Technologien und Materialien anbietet und damit kleine und mittlere Unternehmen in der Wertschöpfungskette des Bauwesens dabei unterstützt kreislaufwirtschaftliche Prozesse zu aktivieren.

Landesstrategie zur Kreislaufwirtschaft

Die Autonome Provinz Bozen hat Eurac Research mit der Entwicklung einer Landesstrategie zur Kreislaufwirtschaft beauftragt, um die Klimaneutralität in Südtirol zu erreichen. Ziel der Strategie ist es, Richtlinien mit Maßnahmen zu erstellen, die sich an den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft orientieren und der Erhebung und Dokumentation der Materialflüsse im Baugewerbe dienen.


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