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Beeinflusst Sprache unser Denken?

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Beeinflusst Sprache unser Denken?
Kann ein Konzept lediglich in einer einzigen Sprache mit einem einzigen Wort ausgedrückt werden, muss dieses in Wörterbüchern entsprechend umschrieben werden - wie hier das Wort „schadenfroh“.Credit: Laura Schlutter | Laura Schlutter | All rights reserved

Nicht nur bei der Diskussion um nicht-diskriminierende Sprache, sondern auch im Kontext von Mehrsprachigkeit zeigt sich: Wie wir über Dinge und Personen sprechen, wie wir Konzepte zum Ausdruck bringen und welche Formulierungen wir dazu zur Verfügung haben, macht einen Unterschied.

Die deutsche „Schadenfreude“, das dänische Wort „hygge“ und auch die spanische Bezeichnung „sobremesa“ – alle Begriffe eint, dass sie in ihrer spezifischen Form einzigartig sind. In anderen Sprachen ist das durch sie beschriebene Konzept nicht mit einem einzelnen Begriff auszudrücken. Aber welche Konsequenz hat es, wenn Konzepte in Sprachen unterschiedlich ausgedrückt werden oder gar fehlen, oder Wörter in verschiedenen Sprachen unterschiedliche Informationen beinhalten?

Selbstverständlich sind auch Nicht-Sprecher:innen der genannten Sprachen in der Lage, die beschriebenen Konzepte zu erfassen und die mit „hygge“ bezeichnete heimelige, Freude erzeugende Gemütlichkeit zu empfinden oder das durch „sobremesa“ bezeichnete Plaudern nach einem gemeinsamen Essen zu definieren. Und doch prägt uns unsere Erstsprache, indem sie unser Denken nach gewohnheitsmäßigen Mustern strukturiert: Wer im Spanischen erzählt, heute Abend mit einer Freundin zu einem Konzert zu gehen, offenbart immer das Geschlecht der Begleitung – ob gewollt oder nicht, wohingegen dies im Englischen völlig problemlos offenbleiben würde. Wer hingegen in Tariana, einer bedrohten Sprache im Amazonas-Gebiet, erzählt, dass ein Kollege ebenfalls bei dem Konzert war, wird die Quelle dieser Information automatisch offenlegen: Ein Suffix an der Verbform zeigt, ob der:die Sprechende den Kollegen dort gesehen hat, ob jemand anderes davon erzählt hat oder ob der Kollege selbst dies gesagt hat.

Wenn unsere Sprache uns zwingt, bestimmte Arten von Informationen routinemäßig zu spezifizieren, hat dies zur Folge, dass wir auf bestimmte Details der uns umgebenden Welt verstärkt achten. So werden in der Aborigenee-Sprache Guugu Yimithirr anstelle von egozentrischen Richtungsangaben wie „vor“ und „neben“ die Himmelsrichtungen genutzt, um die Positionen von Objekten anzugeben – ein ‚mentaler Kompass‘ ist in der alltäglichen Kommunikation also zwingend erforderlich. Da sprachliche Gewohnheiten von Beginn unseres Denkens an kultiviert und manifestiert werden, ist es nur natürlich, dass sie sich zu Denkgewohnheiten entwickeln können, die über die Sprache selbst hinausgehen und unsere Erfahrungen, Wahrnehmungen, Assoziationen, Gefühle, Erinnerungen sowie unsere Orientierung in der Welt beeinflussen. In Bezug auf Himmelsrichtungen oder auch Evidenz einer Aussage mag dies vielleicht kurios oder gar hilfreich erscheinen. Insgesamt aber zeigen die Beispiele, dass der durch unsere (Erst-)Sprache auf bestimmte Aspekte konditionierte Wahrnehmungsfokus in bestimmten Fällen einen bedeutsamen Unterschied macht: Wird in einer deutschen Stellenausschreibung ein „Lehrer“ gesucht, ruft dies das Bild einer männlichen Person hervor, während ein „teacher“ im angelsächsischen Raum diesen sprachlichen „male bias“ nicht notwendigerweise erzeugt (wenngleich eine stärkere Assoziation neutraler Begriffe mit männlichen Personen aufgrund von Stereotypen oder der lebensweltlichen Realität auch im Englischen vorkommen kann).

Sprache hat also eine perspektivierende Kraft: In dem Versuch, die wahrgenommene Realität abzubilden, nimmt die sprechende Person ohnehin immer eine individuelle subjektive Perspektive ein. Zusätzlich aber formt die Sprache eine Perspektive, da die Aneignung und Beschreibung der Welt entlang ihrer lexikalischen Kategorien und grammatikalischen Strukturen erfolgt. Indem wir uns in verschiedenen Sprachen ausdrücken, werden wir uns nicht nur dieser Nuancen und Unterschiede bewusst – sondern uns fallen auch Leerstellen in anderen Sprachen auf, gleichzeitig können wir unser sprachliches Repertoire durch andere Sprachen erweitern: Während wir im Englischen keinen „Buon appetito!“ wünschen können, werden wir am Ende des Arbeitstages feststellen, dass wir auf Italienisch keinen „Schönen Feierabend!“ wünschen können – wohl aber ein freundliches „Buon lavoro!“, wenn es nach dem Mittagessen – nach dem wir vielleicht einen „abbiocco“ verspüren, weil die Pasta so üppig war – wieder an die Arbeit geht. Und im privaten Kontext kann es uns stutzig machen, dass wir im Englischen nicht nuancieren können, ob wir jemanden „lieb haben“ oder „lieben“ - was uns in so mancher Situation sprachlos zurücklassen kann.

Sprache prägt unser Denken, indem sie unsere Wahrnehmung und die Art und Weise, wie wir die Welt verstehen, durch ihre Struktur und Konzepte beeinflusst. Und möglicherweise kann das Eintauchen in eine andere Sprache und Kultur ein Gefühl von „Dépaysement“ auslösen – doch dies ist es allemal wert, da wir durch den stetigen Versuch, Konzepte in verschiedenen Sprachen unterschiedlich auszudrücken, erwiesenermaßen sogar unsere Problemlösefähigkeit und unsere Geduld trainieren. Mehrsprachigkeit zahlt sich also aus – nicht nur hinsichtlich der mentalen Perspektiverweiterung!

Laura Schlutter

Laura Schlutter

Laura Schlutter ist Masterstudentin mit einem besonderen Interesse für Mehrsprachigkeit, Syntax und soziolinguistische Fragestellungen. Wenn sie sich gerade nicht mit linguistischen Fragen beschäftigt, trainiert sie für den nächsten Triathlon oder verfolgt aktuelle politische Debatten.

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