Design Thinking für den touristischen Neustart
Was haben Philosophie, Ästhetik, Design oder Theaterwissenschaften mit Tourismus zu tun? Sie alle können mittels Design Thinking den Weg zurück zur Selbstverständlichkeit des Reisens ebnen. Design Thinking: das Tool für Destination Recovery?
Weite Teile der Welt erleben gerade eine Situation, die man sich in der Tat nicht vorstellen konnte. Eine Pandemie bringt die Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme der allermeisten Staaten beinah zum Erliegen, und verändert dabei die Parameter politischen Handelns auf internationaler bis lokaler Ebene. „Lockdown“ oder „Shutdown“ sind Begriffe, die es schnell in den Wortschatz vieler Sprachen geschafft haben. Aber nach Wochen des Stillstands, einhergehend mit kaum vorstellbaren Rezessionsentwicklungen sowie (vorerst) rückläufigen Infektionszahlen, kommt nun schnell Bewegung in die Diskussion – vor allem auf politischer und wirtschaftlicher Ebene. Es ist die Rede von Restart, Exit, Neustart, Lockerung, Aufbruch, Recovery. Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Druck in Richtung Neustart mehr als verständlich. Zum Teil harsche Diskussionen zwischen Politik, Medizinern und Vertretern der Wirtschaft über den geeigneten Zeitpunkt eines „Zurück zur Normalität“ sind die Folge. Wie ein Damoklesschwert scheint dabei die Angst vor weiteren Pandemiewellen über allen Bemühungen zu schweben.
Doch auch wenn es wieder losgeht – es wird ein weiter und langer Weg zurück. Zurück wohin? Geht es um ein Zurück in die Zeit vor Corona oder um ein Zurück unter ganz neuen Vorzeichen? Ist „Destination Recovery“ eine Möglichkeit, die Weichen in der Destinationsentwicklung neu zu stellen, oder geht es eher darum, den Betrieben ein Zurück zum Status quo zu ermöglichen? Auf der Suche nach Antworten könnte Design Thinking ausschlaggebend sein, ein kreativer Ansatz zur Lösung komplexer Probleme – nicht nur touristischer Natur.
Vertrauensbildung und Kommunikation als neue Basis
Ganz ohne Zweifel gehört der Tourismus zu jenen Bereichen der Wirtschaft, die aufgrund des betrieblichen Stillstands, durch Grenzschließungen und den Zusammenbruch internationaler Mobilitätsketten schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Mehr als andere Bereiche hängt ein erfolgreicher Neustart auch davon ab, wie schnell wieder zu einer Selbstverständlichkeit des Reisens zurückgefunden werden kann. Vorerst aber ist Bescheidenheit angesagt. Schließlich ist allen Akteuren im Tourismus klar: Schnelle Grenzöffnungen sollten die Freiheit des Reisens zwar ein Stück weit beflügeln und ohne Zweifel werden viele den Weg in beliebte Auslandsdestinationen auch über nationale Grenzen hinweg finden, die meisten jedoch werden einen Urlaub zu Hause bzw. im eigenen Land wohl dennoch vorziehen. Die vielen Wochen der Angst und des Social Distancing in der Phase des Lockdowns haben Spuren hinterlassen. Die Berichte aus anderen Ländern, nicht zuletzt aus beliebten Urlaubsländern, tun ihr Übriges, um Auslandsreisen kurzfristig nicht besonders attraktiv zu machen.
Destinationen mit einem hohen Stammgästeanteil berichten von einer intensiven Zeit der Kommunikation mit den Gästen im Sinne der Vertrauensbildung. In der Tat bestanden wohl die meisten Bemühungen der Destinationsorganisationen während des Stillstands darin, verlorengegangenes Vertrauen wieder zurückzuholen, einmal durch Kommunikation nach innen mit Partnern und Stakeholdern, aber eben auch mit (potentiellen) Gästen und Märkten.
Phasen der Destination Recovery
„Es geht Bergauf – Neue Kampagne der Tirol Werbung setzt auf Aufbruchstimmung“: so ähnlich agieren viele Destination Management Organisationen (DMOs) in diesen Tagen, um den Restart einzuleiten. Einerseits wird von Seiten der Wirtschaft ein „Fahrplan“ zurück zur Normalität gefordert, andererseits nehmen Organisationen und Unternehmen erste Lockerungen und dahingehende Schritte selbst in die Hand. Es geht in dieser ersten Phase der Lockerung vor allem um Vertrauensbildung an allen Fronten, und um die Vermittlung von Sicherheit, Wohlgefühl und Gesundheit. Wobei sich die Frage stellt, wie es wieder gelingen kann, Reisefreude zu ermöglichen. Die Motivation zu reisen ist das eine, Freude und Unbeschwertheit das andere.
Es gibt viele unterschiedliche Ansätze, um den „Destination Recovery“ zu strukturieren. Das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes etwa unterteilt die Phasen des Recovery in Lockerung, Belebung und Normalisierung. TourismusZukunft hingegen spricht beim Weg der Destinationen in die Zukunft von den Phasen „Schock und Verwirrung“, „Einsicht und Loslassen“, „Offenheit und Ausprobieren“, „Erkenntnis“ und „Integration“. Die Zielsetzungen sind im Großen und Ganzen dieselben: Überlebensfähigkeit sichern und Wettbewerbsfähigkeit wiedererlangen. Der Weg dorthin ist zumeist unterschiedlich, und doch wieder sehr ähnlich: Es geht um Kommunikation nach innen und nach außen, Angebotsbündelung und Neuausrichtung der Serviceketten, Unterstützung der Stakeholder, und vor allem geht es darum, die Destinationen sicherer zu machen, weniger anfällig für eine mögliche Rückkehr der Pandemie, alle Voraussetzungen zu schaffen, dass Leistungsträger und Gäste sich sicher fühlen können, sich wohlfühlen können.
Ein kreativer Ansatz zum Querdenken: Design Thinking
Um den Weg eines „Destination Recovery“ aufzeigen zu können, könnten Ansätze, Tools und Instrumente aus dem Design Thinking Hilfestellung bieten. Unter Design Thinking versteht man einen Ansatz, der zum Erkennen und Lösen von Problemen und zur Entwicklung neuer Ideen führen soll (Brown, 2009). Ziel ist dabei, Lösungen zu finden, die vor allem aus der Sicht der Nutzer überzeugend sind, und diese somit schon in den Prozess der Ideenfindung einzubinden. Schon vor der Coronakrise haben Unternehmen und Organisationen verschiedenster Art mit Methoden aus dem Design Thinking gearbeitet. Mittels Design Thinking können Prozesse durchgeplant werden, die zwar nach wie vor einem genauen Ablauf folgen, jedoch sehr viel Raum für kreative und auch ungewöhnliche Ideen bieten (Cross, 2011).
Wie kann eine Recovery-Strategie mit Design Thinking gelingen?
Bei der Anwendung von Design Thinking steht vor allem ein neues Problemverständnis im Vordergrund. Es werden Fragen gestellt, die die Perspektive ändern und auf Konzepte wie Nutzerfreundlichkeit und Kommunikation viel stärker eingehen, als es bisher der Fall war. Dabei sind das Zulassen und Fördern von Kreativität von zentraler Bedeutung. Es gibt keine falschen Fragen, sondern nur zu wenig kompliziert gestellte. Design Thinking verändert somit die Fragestellung an sich. Und es sind genau solche erfrischenden Fragestellungen, die ein „Lateral Thinking“ erlauben, ein sogenanntes Querdenken, bei dem alle Gedankengänge zugelassen sind.
Durch Design Thinking werden bisher einwandfrei geglaubte oder bereits anfällige Prozesse genauestens analysiert und visualisiert und dies nicht nur mittels klassischer Post-its, wie es sich so mancher nun vielleicht vorstellen würde, sondern durch die Einbindung der Kreativität verschiedener Interessensgruppen. Partizipation ist dabei das Schlagwort, denn Design Thinking setzt Mitmachen voraus (Pechlaner, 2019). Damit sollen verschiedenste Perspektiven mit in den Prozess eingebunden werden, die nur von jenen Interessensgruppen eingebracht werden können, die sich nicht unbedingt alltäglich damit beschäftigen. Technisch wird von einem „user-centered design“ gesprochen, wo vor allem diejenigen einbezogen werden, für die das fertige Produkt oder die Dienstleistung vorgesehen ist.
Multidisziplinarität für innovative Lösungen
Im Design Thinking spricht man aber auch von verschiedenen Perspektiven, wie sie beispielsweise unterschiedliche Disziplinen und Ansätze liefern können. So werden Problemstellungen von Destinationen im Prozess des Design Thinking nicht nur von Tourismusexperten, Hoteliers, Raumplanern etc. erläutert. Auch bisher weniger präsente Stimmen und Disziplinen müssen in eine Recovery-Strategie eingeplant werden. Hier können durchaus auch Perspektiven der Philosophie, der Ästhetik, des Design oder der Theaterwissenschaften einfließen (Erschbamer, 2019).
Design Thinking ermöglicht die Gestaltung von Transformationsprozessen, wie es die derzeitige Situation unbedingt erfordert. Es geht darum, diese Veränderung und Neuausrichtung in den Destinationen gemeinsam zu gestalten und auch auf Destinationsebene ein „commitment“ aller zu schaffen. Instrumente des Design Thinking können in dieser Hinsicht dazu beitragen, Transformationsprozesse im Handlungsspielraum der Destinationen anzustoßen, die von allen Stakeholdern in der Destination proaktiv mitgestaltet werden können.
Die Anwendung von Design Thinking darf allenfalls nicht als Allheilmittel angesehen werden, aber es befeuert zweifellos multidisziplinäres Denken und ist somit wegbereitend für eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die alle Disziplinen miteinbezieht. Damit ist es eine wichtige Grundlage, um die aktuellen Krisen und Themenstellungen dieser Zeit anzugehen.
Harald Pechlaner ist Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research und Präsident der AIEST (Association Internationale D’Experts Scientifiques Du Tourisme ), der weltweit ältesten tourismuswissenschaftlichen Vereinigung, mit Sitz an der Universität St. Gallen. Als Wirtschaftswissenschaftler leidet er mit den Unternehmen, die innerhalb weniger Tage einen Shutdown hinlegen mussten. Ihn interessiert nun die Frage, wie aus einem Stillstand ein möglichst schnelles “Recovery” entstehen kann und wie Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung in der Wirtschaftswelt stärker verankert werden können. |
Greta Erschbamer ist Wirtschaftswissenschaftlerin am Center for Advanced Studies von Eurac Research und beschäftigt sich mit Projekten an der Schnittstelle von Nachhaltigkeit, Gesellschaft und Design. Während des Lockdowns konnte sie sich endlich ihrem Bücherstapel widmen und hofft, dass der Großteil der positiven Veränderungen in Bezug auf das Leben und Arbeiten auch nach Corona beibehalten werden kann. |
Weitere Literatur:
- Brown, T. (2009). Change by design. How design thinking transforms organizations and inspires innovation. New York: Harper Collins Publishers.
- Cross, N. (2011). Design thinking: Understanding how designers think and work. Oxford, New York: Berg.
- Erschbamer, G. (2019). Destination Design: neue Perspektiven für die Destinationsentwicklung? In: Pechlaner, H. (Herausgeber). Destination und Lebensraum: Perspektiven touristischer Entwicklung, 217-223. Wiesbaden: Springer Gabler.
- Pechlaner, H. (2019). Destination und Lebensraum: Perspektiven touristischer Entwicklung. 20 Jahre Tourismusforschung von Eurac Research. In: Pechlaner, H. (Herausgeber). Destination und Lebensraum: Perspektiven touristischer Entwicklung, 217-223. Wiesbaden: Springer Gabler.
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