Center for Advanced Studies - News & Events - Tiny FOP MOB - Ein Reallabor für eine nachhaltige Zukunft
Tiny FOP MOB - Ein Reallabor für eine nachhaltige Zukunft
Abschlussveranstaltung und Rückblick auf die Errungenschaften des Projekts
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Nach der Rundreise des Tiny FOP MOBs durch den Vinschgau mit Stationen in fünf Pilotgemeinden konnten nun am vergangenen Freitag, 17. Juni, am momentanen Standplatz in der BASIS Vinschgau Venosta, die Ergebnisse präsentiert und ein durchwegs positives Resümee gezogen werden. Dieses einzigartige, vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) 2014-2020 finanzierte Reallabor kann ein Leuchtturmprojekt für die weitere Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und der breiten Öffentlichkeit sein.
Wie wollen wir in Zukunft leben, wie wollen wir bauen, wohnen und arbeiten und was müssen wir in Bewegung setzen, um auch zukünftigen Generationen eine intakte Umwelt zu hinterlassen, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen? Zu diesen Fragen hat die Wissenschaft schon Unmengen an Papier produziert. Wirklich in Bewegung kommen Menschen aber dann, wenn sie selbst mitreden und mitgestalten können. Sie brauchen Räume dazu, sie brauchen Zeit und sie brauchen Wissen und Instrumente. Diese Voraussetzungen zu schaffen, ist Ziel eines Reallabors. Im Tiny FOP MOB, dem kleinen FOrschungs- und Praxis-MOBil, einem Projekt des Center for Advanced Studies von Eurac Research mit dem Institut für erneuerbare Energie von Eurac Research, der Freien Universität Bozen und den Handwerksbetrieben Habicher Holzbau GmbH und Schönthaler Bausteinwerk GmbH haben deshalb Forschende mit Expertinnen und Experten aus der Praxis und mit der Zivilgesellschaft zusammengearbeitet.
Die Reise des rollenden Reallabors aus Holz und Hanf, das in immerhin fünf Pilotgemeinden – in Schlanders, Latsch, Graun, Prad am Stilfserjoch und Mals – Halt machte, wurde von einem Kamerateam begleitet. Der entstandene Kurzfilm feierte anlässlich der Ergebnispräsentation Premiere und schaffte einen Gesamtüberblick über das Projekt – von der ersten Idee zu Planung, Bau und Nutzung bis hin zu den umfassenden Materialtests und Analysen. Das Tiny FOP MOB war tatsächlich Bau-, Bildungs- und Forschungsinitiative in einem, wie das Projektteam mit Ingrid Kofler, Daria Habicher und Silvia Gigante, Forscherinnen am Center for Advanced Studies, den Handwerkern Markus Habicher, Thomas Habicher und Werner Schönthaler sowie Yuri Borgianni von der Freien Universität Bozen und Silvia Ricciuti vom Institut für erneuerbare Energie darlegte. Auch Dieter Pinggera, Bezirkspräsident und Bürgermeister der Gemeinde Schlanders, in der das Tiny FOP MOB seine Reise startete, sowie Hannes Götsch, Gründer und Geschäftsführer von BASIS Vinschgau Venosta, wo das Forschungs- und Praxismobil seinen momentanen Standplatz gefunden hat, unterstrichen in ihren Begrüßungsworten, wie wichtig solche partizipativen Projekte für ein tatsächliches Umdenken seien.
Umfassende Materialtests mit innovativen Rohstoff-Kombinationen
Zwei Wandaufbauten, nämlich eine Holzfaserwand und eine gemauerte Hanfziegelwand, wurden im NOI Techpark angesiedelten Facade System Interactions Lab des Institutes für erneuerbare Energie auf ihre Innenraumluftqualität, die Wärmedurchlässigkeit sowie auf die CO2-Konzentration im Inneren des Raumes getestet. Die Ergebnisse im Labor als auch die Messungen am Reallabor selbst bestätigen, dass der Hanfziegel dazu in der Lage ist, CO2 zu binden und somit wesentlicher Bestandteil einer umweltfreundlichen Bauindustrie sein kann. Yuri Borgianni von der Freien Universität Bozen ergänzte, dass laut durchgeführter Lebenszyklusanalyse der Holzfaserwand und der Hanfziegelwand festgestellt werden konnte, dass die Energieeffizienz und die CO2-Emissionen beider Wände beinahe vergleichbar sind und beide Wände im Vergleich zu einer traditionellen Ziegelwand deutlich besser dastehen. Mittels Fragebogen und Eye-Tracking-Brille analysierte die Freie Universität Bozen die Wahrnehmung des Tiny FOP MOBs. Dabei wurden Originalität und Nachhaltigkeit des Produktes besonders positiv hervorgehoben. Im Zuge seiner Reise durch den Vinschgau wurden über 20 Veranstaltungen rund um das Reallabor organisiert. Thematisiert wurden dabei die Rohstoffgewinnung, die Rolle der Planung zur Stärkung nachhaltiger Baupraktiken, das Wohnen und die Dorfgestaltung der Zukunft, Möglichkeiten der Nutzung, Umnutzung und Modernisierung von leerstehenden Gebäuden sowie nachhaltige Lösungen für Restaurierung und Neubau. An die 1.200 Personen aus allen Bereichen der Gesellschaft beteiligten sich am Reallabor Tiny FOP MOB, indem sie mitdiskutierten und sich an Experimenten oder Workshops beteiligten.
Reallabore als Leuchtturmprojekte und Schlüssel der nachhaltigen Entwicklung
Im Zuge der Ergebnispräsentation und Reflexion wurde sowohl auf die Erkenntnisse und positiven Erfahrungen als auch die Herausforderungen des Projekts eingegangen. Die oben genannte Aufgabe des CO2-neutralen Prototyps Tiny FOP MOB, Raum für die Entwicklung innovativer Lösungen und Ideen sowie transdisziplinäre Verbindungen zwischen Zentrum und Peripherie, Wissenschaft, Unternehmertum und Gesellschaft sowie Praxis und Theorie zu schaffen, konnte erreicht werden. Natürlich mussten im Laufe der Zusammenarbeit auch Kompromisse geschlossen werden, die jedoch als Gelegenheit zum konstruktiven Austausch genutzt wurden. Nicht immer sei es einfach gewesen, die Vorgaben der Nachhaltigkeit einzuhalten, regionale Materialien zu beschaffen und den nächstgelegenen Handwerksbetrieb zu gewinnen. Auch die Kommunikation zwischen den Handwerksbetrieben und Forschenden – eben die Übereinkunft von Theorie und Praxis – sei nicht immer einfach gewesen. Auch bürokratische Hürden mussten überwunden werden.
Die Projektinitiatorinnen Daria Habicher und Ingrid Kofler betonten, dass es durch die Realisierung und Nutzung des ersten mobilen Reallabors in Südtirol gelungen sei, eine neue Art von transformativer Forschung in Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Unternehmertum und Zivilbevölkerung aufzuzeigen. „Wir sind der Überzeugung, dass Nachhaltigkeit anhand konkreter Beispiele breit diskutiert und anhand von Leuchtturmprojekten umgesetzt werden muss. Nur so kann die breite Bevölkerung mitgenommen werden“, unterstrichen die Forscherinnen. Erst seit etwa 10 Jahren wird mit Reallaboren gearbeitet. Das Tiny FOP MOB ist Teil eines Netzwerkes für Reallabore und ist nicht nur in Südtirol, sondern in ganz Italien das Einzige seiner Art.
Notwendigkeit der Zusammenarbeit zwischen Forschung, Betrieben und Bevölkerung
Die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Wie kann eine nachhaltige Entwicklung konkret vorangetrieben werden?“ rundete die Veranstaltung mit einigen Denkanstößen ab. Harald Pechlaner (Leiter des Center for Advanced Studies) diskutierte dabei mit Roland Psenner (Präsident von Eurac Research), Madeleine Rohrer (Direktorin des Dachverbandes für Natur- und Umweltschutz), Rafael Alber (Bürgermeister der Gemeinde Prad am Stilfserjoch) und Mathias Piazzi (Inhaber der Zimmerei Piazzi). Rohrer sprach sich angesichts der Dringlichkeit gegen eine zu sanfte Vorgehensweise aus, denn Umdenken müsse man jetzt. Piazzi betonte die Notwendigkeit stärkerer Zusammenarbeit zwischen Handwerk und Wissenschaft. Als Handwerker nehme er eine wichtige Beratungsfunktion ein und es sei in der Überzeugungsarbeit für eine nachhaltige Bauweise ungemein wichtig, auch konkrete Beispiele und Daten präsentieren zu können. Psenner erwähnte die vielen Gigatonnen Infrastruktur und verbrauchten Ressourcen und betonte die Vorteile einer sinnvollen Nachnutzung im Gegensatz zu aufwändigen Neubauten – ein Ansatz, wie er aktuell auch auf dem historischen Areal der Drususkaserne gelebt werde. In diesem Zusammenhang erwähnte er auch die Ausstellung „L’architettura che resta“ über die Zwischenkriegsarchitektur in Bozen, die sich mit ähnlicher Thematik befasst. Alber und Rohrer sprachen sich außerdem für eine Weiterführung des Projektes auch in anderen Gemeinden über den Vinschgau hinaus aus. Vielen Gemeinden liege die nachhaltige Entwicklung am Herzen, doch werde man etwa mit den Gemeindeentwicklungsplänen in dieser Hinsicht allein gelassen. Es fehle vielfach an Informationen für die konkrete Umsetzung und nicht selten stünden Bürokratie und mangelndes Kapital sowie Know-how der Schaffung von Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürgern im Wege.
Ausklingen durfte die Veranstaltung schließlich bei einem geselligen Aperitif, der noch einmal Gelegenheit zum Ideenaustausch und Weiterdenken des Projekts ermöglichte. Man darf gespannt bleiben, wie es mit dem Tiny FOP MOB und ähnlichen folgenden Projekten weitergehen wird.
Alle Ergebnisse des Projektes sind in einem Forschungsbericht zusammengefasst, der für alle Interessierten als Download zur Verfügung steht: