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Wasser im Vinschgau: zwischen Konflikten, Verantwortung und Solidarität
Wassernutzung neu denken: Vortragsabende in Schluderns und Graun im Vinschgau
Eurac Research, BASIS Vinschgau Venosta, die Bürger*Genossenschaft Obervinschgau und die Raiffeisenkassen Prad-Taufers und Obervinschgau luden zur Reihe „Wassernutzung neu denken“ in Schluderns und Graun im Vinschgau. Wasser ist mehr als eine Ressource – es ist unsere Lebensgrundlage und zugleich ein knappes Gut. Konflikte um die Verteilung nehmen zu. Doch wie können wir die Wassernutzung nachhaltiger und gerechter gestalten? Und welche Rolle spielt der Vinschgau, der historisch wie geografisch ein Brennpunkt in Sachen Wassermanagement ist, als Vorreiter für eine gerechte Wasserzukunft? Mit diesen Fragen beschäftigten sich kürzlich zwei Vortragsabende am 5. Februar im VUSEUM in Schluderns und am 6. Februar in Graun im Vinschgau.
Der Vinschgau gilt als größtes Trockental im gesamten Alpenraum. Mit durchschnittlich 400 bis 500 Millimetern Niederschlag im Jahr und rund 300 Sonnentagen lässt sich das Tal mit Teilen Siziliens vergleichen. Aufgrund seiner historischen Bewässerungssysteme – den Waalen – und seiner bewegten Geschichte rund um den Stausee am Reschen ist der Vinschgau seit jeher ein zentraler Ort im Diskurs um Wassergerechtigkeit. Die Nutzung von Wasser reicht weit über das Trinkwasser hinaus. Es ist die Grundlage für die landwirtschaftliche Bewässerung, die künstliche Beschneiung von Skigebieten oder die nachhaltige Stromproduktion. Doch Klimawandel, konkurrierende Ansprüche, ineffiziente Nutzung und Verschmutzung verschärfen die Knappheit dieser wertvollen Ressource. Dies führt zunehmend zu Wasserkonflikten und Verteilungskämpfen – zwischen Regionen, aber auch zwischen unterschiedlichen Wirtschaftssektoren, wie auch Hannah Kosow (hier im Frühstücksradio auf Rai Südtirol) in ihrem Vortrag hervorhob.
Es gehe bei Wasserkonflikten nicht nur um Verteilung und Nutzung, sondern letzten Endes um Wohlstand, Macht und Fairness. „Fast die Hälfte der Menschen weltweit hat keinen Zugang zu sicherer Sanitärversorgung, und etwa ebenso viele sind von saisonalem Wassermangel betroffen“, unterstrich die Sozialwissenschaftlerin am Zentrum für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart am Mittwoch, 5. Februar im VUSEUM in Schluderns. „Der globale Süßwasserbedarf steigt jährlich um rund ein Prozent, wobei die Landwirtschaft der größte Verbraucher ist. Gleichzeitig wächst der Wasserbedarf in Industrie und Haushalten.“ Klar sei: Wasserkrisen produzieren oder verschärfen soziale Konflikte, können aber auch Chancen für neue Formen der Governance darstellen. Dafür sei es zentral, wie diese Konflikte definiert, wie über sie gesprochen und berichtet wird.
Diesen Aspekt griff die Politikwissenschaftlerin Mirjam Gruber bei der Vorstellung einer aktuellen Studie des Center for Advanced Studies von Eurac Research auf, die sich mit der Berichterstattung zu Extremwetterereignissen im Kontext des Klimawandels in Südtirol beschäftigte. „Die Klimakrise wird oft als abstraktes und entferntes Problem wahrgenommen. Dabei ist es gerade die Alpenregion, die sich doppelt so schnell erwärmt wie der globale Durchschnitt. Ob Extremwetterereignisse aber als Teil einer globalen Krise oder isoliertes Ereignis gesehen werden, hängt stark von der medialen Berichterstattung ab. Lokale Medien verbinden globale Phänomene mit dem Alltag und können dadurch Relevanz schaffen – oder auch nicht“, unterstrich Gruber. So könne die Winterdürre 2023 verschiedenartig geframed, also in einen bestimmten Deutungsrahmen gesetzt werden: einmal als unbeeinflussbares Naturphänomen („Trübes schlechtes Wetter aber es regnet nicht“ - Fatalisierung), als Konsequenz menschlichen Handelns unabhängig vom Klimawandel („Vermeidung von Wasserverschwendung in der Gartenbewässerung“ - Responsabilisierung), als Folge technischer Mängel („Zu den Ursachen der Wasserkrise gehören Lecks entlang der Wasserleitungen“ - Rationalisierung), als Verteilungskonflikt („Wasserkrieg mit der Region Veneto“ - Antagonisierung) oder als sichtbares Zeichen des menschengemachten Klimawandels („Der Klimawandel wird dafür sorgen, dass Trockenperioden, wie wir sie derzeit erleben, häufiger werden“ - Ökologisierung). Der Rahmen, in den ein Extremwetterereignis eingeordnet wird, zählt. In den meisten Fällen geht es nicht nur um Natur, sondern auch um Politik und Gesellschaft. Und: Bilder wirken. Während generische Stockfotos den Klimawandel abstrakt wirken lassen, schaffen authentische Bilder mit Menschen Nähe.
Das wurde auch im Dia-Fotovortrag mit dem Fotografen und Publizisten Gianni Bodini deutlich. Er nahm das Publikum mit auf einen Streifzug zu den Wasseradern Pakistans und Indiens, über das Aosta-, Passeier- und Schnalstal bis hin zu den Waalen in Schluderns und Trafoi. Dabei zeigte er ganz eindrücklich, wie Bewässerungssysteme ein Landschaftsbild beeinflussen, aber auch welche Einschnitte die Rationalisierung von Landschaft mit sich bringt.
Wasser als Gemeinschaftsaufgabe
Am Donnerstag, 6. Februar, stand beim zweiten Vortragsabend im Vereinssaal von Graun das Thema „Wasser als Gemeinschaftsaufgabe“ im Mittelpunkt. Johannes Euler, Mitbegründer des Commons-Instituts und Experte für sozial-ökologischen Wandel gab einen Einblick in das Commoning, einer Form gemeinschaftlicher Selbstorganisation jenseits von Markt und Staat, bei der es vor allem darum gehe, sich in Vielfalt gemeinsam auszurichten, um zentrale Bedürfnisse der Bevölkerung zu decken. Insbesondere in Bezug auf die Wasserversorgung zeigt sich, dass sich Commoning innerhalb kleiner Gruppen bis hin zu einer Dimension von zehntausenden Menschen praktizieren lasse.
Besonders eindrücklich war der Vortrag von Marc Zebisch, Leiter des Center for Climate Change and Transformation von Eurac Research. „Der Klimawandel lässt sich leider nicht wegdiskutieren“, betonte der Klimaforscher. Auch im Wassermanagement müsse man sich darauf einstellen. Es gebe tatsächlich keine Veränderungen der Niederschläge in Südtirol, doch es werde wärmer und damit trockener. „In heißen Sommern verdunstet viel mehr Wasser – und zwar vor allem über die Pflanzen – Nutzpflanzen, Wälder und Wiesen – die mehr Wasser brauchen“, hob Zebisch hervor. Auch der Rückgang der Gletscher habe massive Folgen. Es sei mit mehr Dürreereignissen zu rechnen, die auch über mehrere Jahre hinweg auftreten können. Falls die Treibhausgasemissionen nicht reduziert werden, zeigen aktuelle Szenarien für Südtirol, dass in den nächsten 30 Jahren mehr als 50 Monate extremer Trockenheit zu erwarten sind. Gleichzeitig werde es mehr Starkniederschläge geben und trockenere Böden, die diese Niederschläge nicht aufnehmen können. „In Ostdeutschland sind dieselben Ingenieure, die noch vor einigen Jahren Moore trockengelegt haben, nun mit der Wiederbefeuchtung beschäftigt, weil der Wasserhaushalt so nicht mehr funktioniert“, sagte Zebisch. „Wo früher Auwälder waren, stehen heute Obstwiesen. Nun aber bräuchte es wieder Retentionszonen und die Überlegung, wo man solche schaffen kann. Das heißt nicht, dass dort kein Obst mehr angebaut werden kann, doch es heißt zumindest, dass es Mechanismen braucht, wie Obstwiesen zur Not in einer kontrollierten Art und Weise überflutet und das Wasser sicher wieder abgelassen werden kann.“
Podiumsdiskussion mit lokalen Expertinnen und Experten
Den Abschluss bildete eine von Jenny Ufer und Michael de Rachewiltz (Center for Advanced Studies von Eurac Research) moderierte Podiumsdiskussion mit Albrecht Plangger (Politiker), Michael Wunderer (Geschäftsführer E-Werk Prad), Martha Innerhofer Frank (Beregnungswartin, Waalerin, Bäuerin und Gemeinderätin), Reinhard Scheiber (Landwirt und Obmann der Ötztaler Agrargemeinschaften sowie des Vereins „Unser Wasser“) sowie dem Klimaforscher Marc Zebisch. Die Wassernutzung in ihrem Gebiet sei genau geplant, unterstrich Martha Innerhofer Frank. Die Zusammenarbeit der verschiedenen Interessensgruppen funktioniere gut und man sei untereinander klar abgestimmt. Der Stausee sei für das gesamte Land von Wert, betonte Albrecht Plangger. Man habe dadurch eine Verpflichtung zur Solidarität gegenüber den Ober- und Unterliegern. „Beim Wasser gibt es etwas zu verdienen, also sind auch die Begehrlichkeiten groß“, wie Reinhard Scheiber hervorhob. Im Ötztal wolle die Tiroler Wasserkraft AG 80 Prozent der Gewässer zur Energienutzung ableiten. Ein Vorhaben, dem sich das Tal nun geschlossen entgegensetzt – auch weil verabsäumt worden sei, die Bevölkerung mit einzubinden. „Ohne Einbindung funktioniert kein Projekt mehr“, stimmte Michael Wunderer bei. Genossenschaften, wie das E-Werk Prad, seien an den Zielen der Gemeinschaft und am Bedarf orientiert und behielten dabei die Naturverträglichkeit stets im Blick.
Die beiden spannenden Abende wurden von Harald Pechlaner, Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research, Heiko Hauser, Bürgermeister von Schluderns, Franz Alfred Prieth, Bürgermeister von Graun im Vinschgau sowie den Organisationspartnern Ghali Egger, von der BASIS Vinschgau Venosta und Michael Hofer von der Bürger*Genossenschaft Obervinschgau, eröffnet. Unterstützt wurden die Vortragsabende außerdem von den Raiffeisenkassen Prad-Taufers und Obervinschgau, die mit den Direktoren Werner Platzer und Markus Walter Moriggl vertreten waren.
Ein herzlicher Dank geht an Vinterra für das Catering, an Robin's Huat und Fabi Music für die musikalische Umrahmung und an Sebastian Prieth vom Museum Vintschger Oberland, der einen Einblick in die Geschichte der Reschenseestauung gab.