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Wozu Philosophie?
Voller Saal im NOI Techpark anlässlich der Tagung „Philosophie der Zukunft – Zukunft der Philosophie“
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Was kann Philosophie? Wer braucht sie? Und wozu? Das Center for Advanced Studies von Eurac Research hat Philosophinnen und Philosophen, Expertinnen und Experten aus der Didaktik und der angewandten Forschung in den NOI Techpark geladen, um über Sinn und Zweck der Philosophie zu diskutieren.
„Die Philosophie ist eine erkenntnissuchende, eine wahrheitssuchende Instanz“, betonte Julian Nida-Rümelin, Philosoph und ehemaliger deutscher Kulturstaatsminister bei der Tagung „Philosophie der Zukunft – Zukunft der Philosophie“ des Center for Advanced Studies von Eurac Research, das seine Zuhörerinnen und Zuhörer sozusagen back to basics führte – an den Ursprung der Wissenschaft. Wie soll ich handeln? Wie soll ich leben? Diese Grundfragen werden hartnäckig an die Philosophie gerichtet. Sie könne für begriffliche Klarheit sorgen und Hilfestellung geben. Man könne sie im Grunde als Orientierungswissenschaft bezeichnen, erklärte Nida-Rümelin. Diese Position wurde auch von Georg Siller gestützt. Er ist Oberschullehrer für Philosophie und Leiter des Philosophischen Cafés in Meran. Philosophie sei vor allem eine Haltung. Man lerne, offen zu sein für andere Argumente und entwickle Besonnenheit für Fragen des öffentlichen Interesses. Die Klarheit der Sprache und die reflexive Haltung seien ebenso wichtige Kompetenzen für die Lebensorientierung und Persönlichkeitsbildung eines Menschen.
Auf die Ethik als Teilbereich der Philosophie ging Günther Rautz als Vorsitzender des Ethikkomitees für Forschung am Extremklimasimulator terraXcube ein. In den Klimakammern des terraXcube können alle Klimabedingungen der Erde simuliert werden. Die Anfragen für die Nutzung reichen von Herstellern von Sportartikeln bis hin zu Nutz- und Militärfahrzeugen. Das Ethikkomitee trifft bindende Entscheidungen, welche Tests durchgeführt werden dürfen und welche nicht. Zu letzteren gehören etwa Tests an Waffensystemen. Zur Zukunft der Ethik referierte hingegen Ralf Lüfter, Professor für Philosophie an der Freien Universität Bozen. Er betonte, dass philosophisches Wissen per se ein transformatives Wissen sei, nämlich zukunftsfähiges Wissen, das selbst Übergang und weggebend für die Zukunft sei. Die Ethik müsse in der Lage sein, keine Bestandssicherung zu betreiben, sondern sich so auf die Zukunft einzulassen, dass Künftiges nicht schon vorausgreifend ausgeschlossen bleibe. Elisa Piras, politische Philosophin am Center for Advanced Studies ging auf die Theorie der Gerechtigkeit ein. Von Immanuel Kant, über Karl Marx bis zu John Rawls und viele weitere Philosophinnen und Philosophen: die Theorie der Gerechtigkeit hat eine Vielzahl von Wurzeln und ist bis heute relevanter Bezug unserer Gesellschaft. Sie vermag es, Auswirkungen von Ungleichheit offenzulegen und als Ideengeberin für interdisziplinäre Forschung und Diskussion zu fungieren.
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Philosophie in der praktischen Anwendung
„Keine Angst vor der Anwendbarkeit“ lautete der Vortragstitel von Ludger Jansen, Cusanus-Professor für Philosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Philosophie der biologischen Alterungsforschung. So habe die wissenschaftliche Community der Alterungsforschung ein Dissens-Paper veröffentlicht, in dem dargelegt werde, dass man sich eigentlich nicht einig sei, worüber genau geforscht werde und was mit Altern genau gemeint sei. Hier kommt die Philosophie mit Jansen ins Spiel, der mit den in dem Gebiet arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zunächst einen gemeinsamen Begriffsrahmen entwickeln konnte. Dabei kam die Technik des philosophischen Analysierens und der begrifflichen Klarheit ganz praktisch zum Einsatz.
Thema des Vortragsabends war auch die CHRIS-Studie, die bereits seit über 10 Jahren im Vinschgau durchgeführt wird und von der Roberta Biasiotto, Forscherin am Institut für Biomedizin von Eurac Research berichtete. Die Studie untersucht den Gesundheitszustand von über 13.300 Personen über einen längeren Zeitraum hinweg. Dabei werden auch Gene identifiziert, die auf eine Veranlagung zur Entwicklung einer Krankheit hindeuten, oder Gene, die die Krankheitsentwicklung beeinflussen können. Genetische Dispositionen, von denen die Studienteilnehmenden aber vielleicht im Einzelnen noch nichts wissen und auch nichts wissen möchten. Vor allem im Umgang mit Gesundheitsdaten spiele daher die Art und Weise der Kommunikation genealogischer Ergebnisse und die Einbeziehung von Forschenden, die genau auf diese ethischen Komponenten achten, eine unglaublich wichtige Rolle.
Ziel der Philosophie sei die Humanisierung der Lebensbedingungen der Menschheit auf diesem Planeten, und zwar nach ethischen Kriterien, schloss auch Julian Nida-Rümelin. Man dürfe sich nicht auf eine befreiende disruptive Revolution durch neue Technologien verlassen. Diese Hoffnung sei auch in der Vergangenheit regelmäßig enttäuscht worden. Philosophie sei ausschlaggebend dafür, echte Transdisziplinarität zu praktizieren und das große Ganze in den Blick zu nehmen, gerade in Zeiten tiefgreifender, kaum noch in Einzelwissenschaften verstehbarer Krisen.
Der Vortragsabend im NOI Techpark wurde von Michael de Rachewiltz, Philosoph am Center for Advanced Studies organisiert. Die Grußworte sprach Eurac Research-Präsident Roland Psenner. Es moderierte Harald Pechlaner, Leiter des Center for Advanced Studies.