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Wie ich in Siebenbürgen die Landwirtschaft erlebt habe

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Wie ich in Siebenbürgen die Landwirtschaft erlebt habe
Wie ich in Siebenbürgen die Landwirtschaft erlebt habeCredit: Nicola Kogler | All rights reserved

Wenn ich mir vorstelle, wie meine Großeltern vor 60 Jahren hier in Südtirol Landwirtschaft betrieben haben, habe ich ein bestimmtes Bild vor Augen: vielfältige Kulturen, wenige, aber unterschiedliche Nutztiere, viel manuelle Arbeit und wenig Luxus. Eine ähnliche Realität erlebte ich beim WWOOFing in Rumänien.

Zu Besuch in der Abgeschiedenheit

Zwei Wochen lang habe ich gemeinsam mit einer Freundin im 200-Seelen-Dorf Rauthal (Rumänisch: Roandola) im Herzen von Siebenbürgen freiwillig auf dem Bio-Bauernhof einer deutschen Familie von Selbstversorgern mitgearbeitet. Unsere Gastgeber sind vor einigen Jahren nach Rumänien gezogen, um dem „Wachse oder Weiche“-Diktat der industriellen Landwirtschaft in Deutschland zu entfliehen. Die Existenz, die sie sich hier in einem abgelegenen und aussterbenden Dorf aufgebaut hatten, basierte auf zwei Hektaren Ackerfläche, einer Weide, zwei Milchkühen und ein paar Hühnern. Sie tauschten den gewohnten Traktor gegen ein Pferd ein, mit dem sie alle schweren Arbeiten verrichteten. Die Kühe molken sie von Hand. Um die viele manuelle Arbeit zu bewältigen, aber auch um in sozialen Kontakt mit Menschen aus aller Welt zu treten, holte sich die Familie WWOOFer, also freiwillige Helfer auf den Hof. So teilte sich die Familie seither gelegentlich ihren Wohnbereich, die Küche und das Plumpsklo mit den Reisenden.

Landwirtschaftliche Produktion mit einem Pferd

Wir WWOOFer spürten schnell am eigenen Körper, was es heißt, sich ohne maschinelle Hilfe selbst zu ernähren und einige Nachbarn mitzuversorgen. Jeden Tag warteten neue Aufgaben auf uns. Gemeinsam mit der Bauernfamilie und mithilfe des Pferds „Pinocchio“ düngten und bearbeiteten wir den Boden, wir säten Kartoffeln und Mais, wir jäteten von Hand das Unkraut zwischen den Karotten, wir hackten Büsche aus der Weide, versorgten und molken die Kühe. Obwohl wir nur zwei Wochen mitarbeiteten, hatte das für uns vor allem Muskelkater und Blasen an den Händen zur Folge.

Landschaft und Dorfbewohner

Am Nachmittag blieb uns oft noch Zeit, um durch die hügelige Landschaft rund um das Dorf zu wandern. Menschen begegneten wir dabei selten. Aus weiter Entfernung machten uns jedoch manchmal die häufig anzutreffenden Hirtenhunde mit verteidigendem Gebell darauf aufmerksam, dass es besser wäre, der Wanderung in der Nähe einer Schafherde ein Ende zu setzen und umzudrehen. Wenn wir keine Lust auf solche Abenteuer hatten, erkundeten wir einfach die Nachbarschaft und versuchten uns mithilfe unserer Italienischkenntnisse mit den Dorfbewohnern zu unterhalten. Der Erfolg unserer Bemühungen schien begrenzt; bei der Bevölkerung stießen wir eher auf Verschlossenheit.

Gutes Essen, guter Schlaf

Unsere Gastgeber bedankten sich für unsere Mithilfe mit einem warmen Mittagessen. Zum Abendessen gab es meistens selbstgemachtes Brot, Käse und Zacuscă, ein typisch rumänischer Aufstrich aus Paprika, Auberginen, Tomaten, Zwiebeln und Gewürzen. Der etwas eigenartig schmeckende Hauswein, den wir dazu tranken, löste die Zungen; während der Mahlzeiten erzählte uns die Familie über das Leben in Rumänien, das sehr unterschiedlich zu jenem in Deutschland ist. Nach dem Abendessen wuschen wir uns noch mithilfe einer Waschschüssel, denn Dusche gab es keine im Haus. Danach fielen wir meistens sofort in einen tiefen Schlaf, denn die ungewohnte körperliche Arbeit an der frischen Luft machte uns sehr müde.

Warum macht man so etwas?

Nicht immer muss ein WWOOF-Aufenthalt reibungslos und zur Zufriedenheit beider Seiten ablaufen. Meine Erfahrung jedoch befriedigte mehrere Bedürfnisse gleichzeitig: Reiselust, das Interesse für andere Menschen und Länder, das Bedürfnis nach körperlicher Betätigung an der frischen Luft und Neues dazu zu lernen. Für Nicht-Landwirte ist dieser Austausch eine Möglichkeit, den Wert von mühevoll hergestellten Lebensmitteln wieder zu erkennen. Außerdem lernt man durch den intensiven Kontakt mit einer Bauernfamilie ein fremdes Land und seine Leute noch besser kennen als bei einer herkömmlichen Reise. Ich werde wahrscheinlich nicht mehr in das etwas triste Rauthal zurückkehren. An die Bilder dieser ursprünglichen Landwirtschaft und an die Gespräche mit den Einheimischen, die sich auf dieser Reise in meinem Kopf gesammelt haben, werde ich mich aber weiterhin erinnern.

Mehr über WWOOFing

WWOOF (world wide opportunities on organic farms) ist eine weltweite Vereinigung, die es Menschen ermöglicht, Landwirtschaft und das Leben auf einem Bauernhof hautnah mitzuerleben. Freiwillige aus aller Welt arbeiten für einen begrenzten Zeitraum vier bis sechs Stunden am Tag in der Landwirtschaft und im Haushalt mit und werden dafür mit Essen und einer Unterkunft versorgt. Der Unterschied zu den Freiwilligen Arbeitseinsätzen in Südtirol ist, dass es die Organisation WWOOF auf der ganzen Welt gibt, dass nur Biobauernhöfe Gastgeber sein können und dass es neben der Mithilfe verstärkt um den sozialen und kulturellen Austausch zwischen den Bauern und Freiwilligen geht.


Verena ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Regionalentwicklung von Eurac Research und beschäftigt sich dort mit Themen der nachhaltigen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Begleitet wird sie in ihrem Alltag von der Frage, wie man möglichst wenig verschwenderisch leben kann. Ansonsten erkundet sie gerne die Bergwelt, liest Bücher und mag Eis.

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Citation

https://doi.org/10.57708/b6604616
Gramm, V. Wie ich in Siebenbürgen die Landwirtschaft erlebt habe. https://doi.org/10.57708/B6604616

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