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Sensibilität bei vigilius sensus 2022
Auf 1500 Höhenmetern und in inspirierender Runde wurde im vigilius mountain resort über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren debattiert. Als Hauptreferentin war die deutsche Philosophin Svenja Flaßpöhler geladen
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Einmal im Jahr treffen sich renommierte Köpfe im vigilius mountain resort, um Fragen von aktueller gesellschaftlicher Brisanz im Rahmen der Veranstaltung „vigilius sensus“ zu diskutieren. Nach einer corona-bedingten Pause, konnte die diesjährige Ausgabe im Herbst 2022 mit einer besonderen Impulsgeberin aufwarten. Auf Einladung des vigilius mountain resorts und des Center for Advanced Studies war Svenja Flaßpöhler zu Gast, welche auf die zunehmende Sensibilisierung des Selbst und der Gesellschaft einging.
Schon Alexis de Tocqueville war der Ansicht: je gleichberechtigter die Gesellschaft, desto größer die Sensibilität für noch bestehende Ungleichheiten und damit verbundene Verletzungen. Dieses Paradoxon zitierte auch Svenja Flaßpöhler, Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins anlässlich des hochkarätig besetzten Diskussionsabends „vigilius sensus 2022“. Thema der diesjährigen Ausgabe war „Sensibilität“. Flaßpöhler hat einen Bestseller dazu geschrieben: „Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren“ und sich intensiv mit den zentralen Streitthemen unserer Zeit von der MeToo-Bewegung bis hin zu Cancel Culture beschäftigt.
Während sich noch vor nicht allzu langer Zeit ältere, weiße Männer den Kuchen teilten, sitzen nun alle an einem Tisch. Dass dies Spannungen verursache, sei nicht anders zu erwarten. Nun müsse mit der Spannung umgegangen werden, betonte die Philosophin. Was sie kritisch beobachtet: „Wir erwarten immer mehr Schutz von der Gesellschaft und muten uns gegenseitig immer weniger zu. Wir sind im Grunde dabei, jede Zumutung zu tilgen. Dadurch werden wir aber auch der Möglichkeiten beraubt, Resilienz auszuüben.“ Resilienz bedeute, mit Krisen umgehen zu lernen, etwas, dem diese permanente Krisenvermeidung entgegenwirke. „Es braucht Kontextsensibilität“, erklärt die Autorin, die grundsätzlich zwischen zwei Ausprägungen von Sensibilität unterscheidet. Während sich nämlich Empfindlichkeit vor allem in Reizbarkeit und einer Form von passiver Sensibilität ausdrücke, sei Empfindsamkeit eine aktive Sensibilität, die sich in Empathie und Einfühlungsvermögen äußere.
In vielen aktuellen Diskursen, etwa auch in der MeToo-Debatte werde starke Empathie eingefordert, andere Positionen sofort als inhuman diskreditiert. Dabei sei zu bedenken, dass eine rein empathische Perspektive einer kritischen objektiven Haltung im Wege stehe. Eine Haltung, die es jedoch brauche, um einen gesellschaftlichen Konsens zu erreichen. Eine Verpanzerung der Gesellschaft sei kontraproduktiv und es brauche Mut, auch abweichende Meinungen zu vertreten. Für die Philosophin ist klar: die Resilienz ist die Schwester der Sensibilität, denn „die Resilienz trägt die Sensibilität tief in sich“. Um die Zukunft zu meistern, brauche es beide.
Diskussionsrunde mit Expertinnen und Experten aus Kunst, Kultur, Bildungswesen, Wirtschaft und Wissenschaft
Verschiedenste Ausprägungen und Erfahrungen mit Sensibilität wurden in der anschließenden Diskussionsrunde mit Magdalena Maria Messner (Leiterin der Messner Mountain Museen), Manuela Kerer (Komponistin), Siglinde Doblander (Verantwortliche des Arbeitsbereiches der Begabungs- und Begabtenförderung an der Pädagogischen Abteilung der Deutschen Bildungsdirektion), Hannes Obermair (Historiker, Eurac Research) und Ulrich Ladurner, dem Ideator des Formats, besprochen. Moderiert wurde die Diskussion von Harald Pechlaner, dem Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research.
„Auch nach Abflauen der Pandemie habe ich sowohl bei den Besucherinnen und Besuchern als auch bei den Mitarbeitenden eine große Verunsicherung bemerkt“, erzählte Magdalena Messner. Eine Verunsicherung, die noch immer anhalte und ein generelles Gefühl, von den Geschehnissen überrannt zu werden. Dass sich in Warteschlangen vor dem Museum eine gereizte Stimmung aufbaue, sei etwas, was noch vor der Pandemie kaum vorgekommen sei, jetzt aber öfter passiere. Man dürfe nicht annehmen, dass diese Zeit keine Spuren hinterlassen habe, sondern müsse versuchen, die Menschen besser abzuholen.
Auf Sensibilität und Kunst ging hingegen Manuela Kerer ein, Komponistin der Oper „Toteis“: „Musik ist die sensibelste Kunst. Sie kommt ohne Worte aus und kann trotzdem starke Botschaften vermitteln“. Man könne durch Musik alle Stimmungen erfahren, nicht nur das Schöne, das Angenehme. Kerer bezeichnet sich selbst als politische Komponistin und ist überzeugt: Kunst und Kultur sind Spiegel der Gesellschaft und tragen damit auch Verantwortung.
Die Bereitschaft, sich zu verändern, sei ungemein wichtig, unterstrich Hannes Obermair. Als Historiker und Museumsgestalter sei er, insbesondere wenn es um Exponate anderer Kulturen gehe, immer wieder mit sensiblen Fragen beschäftigt. Man müsse sich immer wieder neu bewusst machen, wer zu Wort kommen soll, wie Inhalte aufbereitet werden und Exponate präsentiert werden sollten. Dafür brauche es viel Feingefühl und Bewusstsein – auch für die eigene, oft privilegierte Position.
Siglinde Doblander hingegen sprach über Hochsensibilität und Hochbegabung. Für die Entfaltung eines Potentials und die Entwicklung einer Person brauche es sowohl innere Impulse als auch äußere Reize. Ohne Dialog gehe es nicht und tatsächlich gebe es auch Kipppunkte, wo sich ein gewisses Potential auch gegen eine Person richten könne. Es gebe kein Intelligenzgen, aber eine Disposition, die es zu Fördern gelte.
Auch in Unternehmen brauche es Sensibilität und Weitsicht, gegen den Strom zu schwimmen, sich aktiv weiterzuentwickeln und Potential zu fördern. Etwa auch in Kunst und Kultur, wie Ulrich Ladurner, Ideator von vigilius sensus, Direktor und Gründer der Dr. Schär GmbH und Besitzer des vigilius mountain resorts erklärte.
Über vigilius sensus
vigilius sensus versteht sich als Plattform, um zukunftsrelevante Fragestellungen zu diskutieren und diese in den regionalen und globalen Kontext zu stellen. In der besonderen Atmosphäre des vigilius mountain resorts gelingt es, die Voraussetzungen für wichtige gesellschaftliche Themen aus einer bestimmten Distanz anzugehen.