magazine_ Article
Es ist ein Forschungsvorhaben, das so noch nie zuvor durchgeführt wurde: Versuchspersonen lassen sich vollständig im Schnee eingraben, um unter realistischen Bedingungen – überwacht von einem Forschungsteam – ein neu entwickeltes Gerät für Lawinenverschüttete zu testen. Es soll dabei helfen, unter einer Lawine länger zu überleben, indem es mehr als eine Stunde lang kontinuierlich Frischluft in die Nähe der Atemwege pumpt und damit ein schnelles Ersticken unter dem Schnee verhindert.
Das Gerät macht sich eine besondere Eigenschaft des Schnees zunutze: Er kann sehr schwer sein, ist aber grundsätzlich porös und luftdurchlässig. Das erlaubt es dem Gerät, auch unter dem Schnee bzw. durch den Schnee hindurch sauerstoffreiche Luft aufzunehmen. Integriert in einen Rucksack, saugt es die Luft im Rückenbereich an und pumpt sie von dort über zwei Schläuche an den Schultergurten heraus in den Gesichtsbereich. Das Ganze funktioniert über eine elektrische Luftpumpe, die ab dem Moment des Auslösens bis zu 90 Minuten lang permanent für Frischluft sorgt – sie pumpt ganze 150 Liter pro Minute in die Nähe der Atemwege. Dadurch steht unter dem Schnee – immer vorausgesetzt, dass eine kleine Atemhöhle vorhanden ist – trotz ausgeatmetem Kohlendioxid immer ausreichend Sauerstoff zur Verfügung, so das Prinzip des Geräts.
Entwickelt wurde „Safeback SBX“ von einem norwegischen Startup-Unternehmen, das sich mit dem Gerät an Eurac Research gewandt hatte: Das Forschungszentrum sollte die Wirksamkeit testen und mit einer wissenschaftlichen Studie untersuchen, ob das Gerät tatsächlich die Überlebenszeit unter einer Lawine maßgeblich verlängern kann. Die Tests im Rahmen der unabhängigen Studie fanden Anfang März 2023 statt. Mit den Ergebnissen rechnet das Forschungsteam noch vor dem Herbst.
Der Ablauf der Tests Die Probanden wurden in zwei Gruppen eingeteilt, ohne dass sie selbst wussten, zu welcher Gruppe sie gehörten: in eine Kontrollgruppe, der eine Attrappe des Geräts angeschnallt wurde (die nicht funktionierte, aber täuschend echte Geräusche machte), und in eine Gruppe, bei der das Gerät tatsächlich funktionierte. Dies, um einen Placeboeffekt auszuschließen. Verbunden mit einer Notschnur und einem akustisches Signal, konnten die Probanden den Test jederzeit abbrechen. Zusätzlich waren sie per Funk mit dem Forscherteam in Kontakt – auch während des Zeitraums unter dem Schnee. Das Forschungsteam überwachte dabei die Sauerstoffsättigung, verschiedene Herz-Kreislaufparameter, Atemfrequenz und Atemtiefe, die Schneedichte (in Zusammenarbeit mit dem Schweizer WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF) und die Verteilung von Sauerstoff und Kohlendioxid beim Atmen im Schnee. Zusätzlich wurden Tests durchgeführt, um etwa die Stressreaktion des Körpers zu messen. Falls die Probanden den Test nicht von sich aus abbrachen, beendeten die Forscher den Test spätestens nach 60 Minuten oder früher, wenn die überwachte Sauerstoffsättigung unter 80 Prozent absank. Die Auswertung der Differenz in den gemessenen Zeiten zwischen den beiden Gruppen soll nun Rückschlüsse darauf geben, wie gut das Gerät funktioniert. Mit den Ergebnissen rechnet das Forschungsteam noch vor dem Herbst.
Für die Tests legten sich die Probanden mitsamt dem angeschnallten Gerät bäuchlings in eine ausgehobene Schneegrube und wurden dann vollständig mit Schnee bedeckt.
Erfolgreich – nach rund 40 Minuten signalisierte die Probandin, dass sie aus dem Schnee herausgeholt werden wollte. Die relativ lange Zeitspanne liefert dem Forschungsteam wertvolle Daten.
„Kein Gerät wird je garantieren können, dass es keine Lawinentoten mehr gibt. Am wichtigsten ist die Prävention durch die Lawinenwarndienste oder auch in Form von Ausbildung und Training und die Kameradenrettung. Das Gerät kann – wenn sich herausstellt, dass es gut funktioniert – dabei helfen, die Zeit zu verlängern, in der eine Rettung noch möglich ist“, unterstreicht der Notfallmediziner Hermann Brugger.
Das Gerät namens Safeback SBX verfügt über die notwendigen technischen Zertifikate, um auf den Markt gehen zu können. „Das Unternehmen hat sich aus freien Stücken an uns gewandt, obwohl es damit ein Risiko eingeht. Wir werden die Ergebnisse in jedem Fall wissenschaftlich publizieren, auch wenn sich aufgrund unserer Studie herausstellen sollte, dass das Gerät nicht gut funktioniert“, schließt Giacomo Strapazzon, Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research und Verantwortlicher der Studie.
Finanzierung und Partner der Studie
Die Studie wurde durch Eigenmittel des Instituts für Alpine Notfallmedizin von Eurac Research und durch den Forschungspartner „MountainLab“ (Mountain Medicine Research Group, University of Bergen) finanziert.
Weitere Partner der Studie: Südtiroler Sanitätsbetrieb, Schweizer WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLf - Davos, Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Uniklinik Köln, Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin des Medizinischen Universität Innsbruck, Istituto of Fisiologia Clinica, Consiglio Nazionale delle Ricerche (IFC-CNR), Mailand.